VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
gewordenen Limo. Der Umgang mit der Presse fällt eigentlich in den Zuständigkeitsbereich meines unmittelbaren Vorgesetzten, wäre also Franklins Angelegenheit. Beim Sender ist Franklin für Verkauf und Vertrieb zuständig. Obwohl er sich redlich bemüht hat, ist es ihm nie gelungen, eine überregionale Zeitung oder ein bundesweit erscheinendes Magazin auf uns aufmerksam zu machen, geschweige denn den Rolling Stone . Und jetzt fällt uns diese Gelegenheit geradezu in den Schoß. Alles wartet nur darauf, dass es mir gelingt, der Musikbranche Faszination für unseren Sender einzuhauchen.
Jeremy Glaser verschränkt die Arme vor sich auf dem Tisch und mustert mich. Die Pose des Skeptikers, original wie aus Pakulas Die Unbestechlichen . »Also dann: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit Vampir-Radiomoderatoren für den Sender zu werben?«
»Aber das ist doch kein Werbetrick! Die Moderatoren sind wirklich Vampire, echt.« Ich zeige Glaser ein vor Ironie triefendes Lächeln. »Jeder von ihnen ist in der musikalischen Ära stecken geblieben, in der er beziehungsweise sie in einen Vampir verwandelt wurde. Deswegen ziehen sie sich auch immer noch wie damals an und reden noch so.« Ich zeige auf die Bühne, wo ein hochgewachsener Mann mit zurückgegelter kastanienbrauner Haartolle seine weiblichen Groupies mit Pferdeschwanz, Tellerrock und Petticoat durch eine dunkle Sonnenbrille hindurch begutachtet. »Spencer beispielsweise wurde in den späten Fünfzigern in Memphis zum Vampir. Zu seiner Zeit entdeckten die Leute von Sun Records gerade Elvis Presley, Johnny Cash, Carl Perkins und all die anderen.« Spencer wirft den Mädchen ein gewollt schüchternes Lächeln zu, während er seinen Stapel Vinyl-Singles ordentlich aufeinanderschichtet. »Spencer hat die Geburtsstunde des Rock ’n’ Roll miterlebt. Man könnte sogar sagen, er hat ihm wie eine Hebamme mit auf die Welt geholfen.«
Glaser blickt mich an, als würde ich gerade meine Einkaufsliste für den Gemüsehändler herunterbeten. Nicht eine Silbe von dem, was ich gesagt habe, hat er sich notiert. »Meinen Recherchen nach ist WVMP mit diesem Herzblut-des-Rock-’n’-Roll-Ding rausgekommen in dem verzweifelten Versuch, die Einschaltquoten in die Höhe zu treiben.«
»Wir hatten die Wahl: Entweder höhere Einschaltquoten, oder Skywave hätte uns aufgekauft.« Immer noch habe ich Albträume, in denen unser Sender von einem Medienriesen aufgekauft wird, bei dem meine Freunde mit den Fangzähnen dann Top-40-Hits spielen müssen, bis sie sich selbst vor Verzweiflung einen Pflock durchs Herz treiben. »Ist etwas daran falsch, überleben zu wollen?«
»Nein, es auf diese Weise zu tun, ist sogar genial.« Glaser betrachtet das Herzblut-des-Rock-’n’-Roll -Banner. »Aber wie lange wird das gut gehen?«
»Na ja …« Rasch kratze ich mir den Nasenrücken, um zu überspielen, dass ich bei diesen Worten zusammengezuckt bin. Trotz des hohen Anteils eingefleischter Fans sind die Einschaltquoten letzten Sommer in den Keller gegangen. Den Großteil der Öffentlichkeit langweilt das Vampirthema bereits. Allenthalben wartet man auf den nächsten großen Coup.
Dass die DJs nicht aussehen und sich nicht verhalten, wie man es gemeinhin von Vampiren erwartet, ist auch nicht sonderlich hilfreich. Sie tragen Blue Jeans statt schwarzer Capes. Sie kippen Bier, Bourbon und Tequila, anstatt medienwirksam an einem Glas blutig-roten Rotweins zu nippen. Nie brüten sie in dunkler Stimmung vor sich hin – außer vielleicht wenn es darum geht, Werbejingles für Autohäuser oder Hochleistungsstaubsauger aufzuzeichnen. Nie gehen sie in die Oper.
So sehr sich unsere Vampire über ihre Fangemeinden freuen, die sie anhimmeln, so sehr wollen sie das Geheimnis ihrer wahren Natur vor allen und jedem bewahren. Massenhysterisches Austicken, das andernfalls zwangsläufig wäre, wollen sie ebenso vermeiden wie das darauf gleichermaßen zwangsläufig folgende Fest für pflockschwingende Möchtegern-Vampirjäger. Vorrang vor allem hat nun einmal schlicht, zu überleben. Ohne WVMP aber verlören unsere Vampire ihr sonnengeschütztes Zuhause unterhalb der Sendestation. Ganz zu schweigen von dem eigentlichen Grund, der ihr Über-›Leben‹ sichert: die Musik.
»Warum sollte das nicht für immer und ewig so weitergehen?«, tue ich Glaser gegenüber unbekümmert. »Der Rock ’n’ Roll stirbt nie. Genau wie Vampire.«
Ein Muskel in Glasers Augenwinkel zuckt – der klassische nervöse Tick eines
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