Vampirherz
der unbeeindruckt weiter rasselte. Mit einem gezielten Fausthieb brachte Dana ihn zum Schweigen. Sie richtete sich auf und gähnte herzhaft. Langsam schälten sich die gewohnten Umrisse ihrer Möbel aus der Dunkelheit. Ihr Mund war staubtrocken; anscheinend hatte sie in ihrem Traum auch noch die Sahara durchquert. Sie griff neben sich auf den Nachttisch und angelte sich die Wasserflasche. Angenehm kühl lief das Wasser ihre Kehle hinunter. Dana ließ sich mit einem Seufzer wieder ins Kissen fallen und schloss die Augen. Aber einschlafen konnte sie nicht mehr. Grummelnd schälte sie sich wieder aus ihrer Bettdecke. Ein bisschen frische Luft tanken würde sie ein wenig ablenken. Sie stand auf und tastete sich im Dunkeln vor zum Fenster. Auf einmal stieß sie mit dem Knie schmerzhaft gegen die Kante ihres Schreibtisches. Verdammter Mist! Dana hatte ganz vergessen, dass sie gestern ihren Schreibtisch an dieses Fenster gestellt hatte. Er war aus weichem Kiefernholz, das sich aber trotzdem verdammt hart anfühlte. Sie tastete sich an ihrem Kleiderschrank vorbei zum anderen Fenster neben ihrem Bett. Leise zog sie den Rollo hoch und öffnete das Fenster. Das helle Tageslicht blendete Dana. Obwohl die Sonne schien, war die Luft draußen kühl und feucht. Weißer Novembernebel lag auf den Bäumen auf der anderen Straßenseite. Die Erinnerung an ihren Traum kehrte zurück und jagte Dana einen Schauer über den Rücken. Was sie gerade geträumt hatte, war wirklich passiert. Sie hatte damals wie verrückt nach ihrem Vater gesucht. Wenn Francis damals nicht gewesen wäre, wäre das das Letzte gewesen, was sie in ihrem Leben getan hätte. Seit er ihr vor zehn Jahren dieses Kreuz geschenkt hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Auch ihr Vater blieb verschwunden. Danas Erinnerung kehrte zu jenem Zeitpunkt zurück, als sie ihren Vater das letzte Mal gesehen hatte. Entgegen seiner bisherigen Gewohnheit hatte er sie damals noch spät abends in ihrem Zimmer besucht. Aus irgendeinem Grund war sie wach gewesen. Er hatte sich an ihr Bett gesetzt, ihr mit den Fingern die wirren Haare geglättet und ihr erzählt, dass er ein paar Tage fortgehen müsse. Natürlich wollte Dana ihn unbedingt begleiten, aber er hatte ihr gesagt, dass dies zu gefährlich für ein kleines Mädchen sei. Dann hatte er sie auf die Stirn geküsst.
„Egal, was passiert, ich werde dich immer lieb haben“ hatte er gesagt. Dann hatte er ihre Wange gestreichelt und war aus dem Zimmer gegangen.
Mit einem Seufzen tauchte Dana wieder aus der Vergangenheit auf und spürte verwundert, dass ihre Wangen tränennass waren. Es tat noch immer weh, dass er einfach nicht mehr zurückgekommen war. Niemand wusste, was mit ihm geschehen war. Aber gerade jetzt, als ihre Mutter mit Leukämie im Krankenhaus lag, hätte sie ihn dringend gebraucht. Dana spielte zwar die Tapfere und hatte ihrer Mutter, wie schon so oft in letzter Zeit, versichert, dass sie klar kam. Die Wahrheit war aber, dass sie eigentlich gar nicht klar kam. Okay, in der Schule war sie abgelenkt, genau wie während des Kochens oder bei der Hausarbeit. Sie traf sich oft mit Vivi, ihrer besten Freundin, die mit ihren Eltern in der Wohnung gegenüber ihrer eigenen wohnte. Sie waren eine große Hilfe für Dana, aber sie wollte diese Leute nicht dauernd mit ihrer Trauer und ihrer Hilflosigkeit nerven. Und so saß sie abends oft im grünen Lieblingssessel ihrer Mutter und starrte vor sich hin. Manchmal spielte sie auch auf dem Klavier ihres Vaters, das noch immer im Wohnzimmer stand. Ihre Mutter hatte es nicht übers Herz gebracht, es zu verkaufen. Aber je öfter sie spielte, desto mehr vermisste sie ihren Vater. Vor allem seit der Diagnose im Krankenhaus. Sie seufzte und ging an ihren Schreibtisch. In der Schublade dort hütete sie die paar Schätze, die sie von ihrem Vater hatte. Den kleinen Teddybären hatte sie zu ihrem fünften Geburtstag von ihm bekommen, die silberne Kette mit dem Herz zu ihrem siebten Geburtstag, das wertvollste aber war das Foto. Es zeigte ihre Mutter und ihren Vater; er hatte Dana auf dem Schoss. Damals war sie fünf Jahre alt gewesen. Seine fein geschwungenen Lippen lächelten Dana entgegen. Das Einzige, was sie noch von ihm hatte, war dieses Foto, das zu einer Zeit gemacht wurde, als sie noch eine glückliche Familie gewesen waren. Warum konnte man nur nicht die Zeit zurückdrehen? Sie seufzte und ging ins Bad. Ein Blick in den Spiegel zeigte ein schmales, blasses Gesicht, das umrahmt wurde von
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