Vampyrus
über den Zaun. Als wir uns so zwischen den Gräbern hindurchschlängelten, musste ich an den Friedhof der Kuscheltiere denken. Wir lachten beide etwas zu laut für die leere Friedhofsstille, und Kasi schlurfte mit hängenden Schultern und baumelnden Armen in Zombiemanier zur Bank. „Schau, heute ist Vollmond. Ich liebe es, in seinem Licht zu baden.“ Kasi deutete in die Richtung, in der die Scheibe des Mondes gerade hinter einer vorbeiziehenden Wolke hervorkam. Der klare Schein des Mondlichts überzog Kasis Gesicht mit einem silbrigen Schimmer. Er sah sehr blass und traurig aus, als er mich küsste. Er war wirklich anders!
Gerhard Schmeußer
Vampyrus
D u spinnst, hatte ich gesagt. Vampire gibt’s nicht. Okay, Okay. Schau nicht so. Also gut, zeig mir deinen Freund. Nein, Bekannter, hatte mein Kumpel gesagt, nur ein Bekannter. Also dann zeig mir deinen Bekannten. Mal sehen, sagt mein Kumpel, wie siehts nächsten Mittwoch aus? Wenn’s sein muss. Für einen echten Vampir gehe ich auch mittwochs aus. Mittwoch im Flamboyant.
Nun sitzen wir hier im Flamboyant. In dieser Bar ist es eindeutig zu finster. Der Tresen ist schwarz, der Fußboden ist schwarz, die Wände sind schwarz, einfach alles. Das Pils wird in Null-Dreier Flaschen ausgeschenkt. Der Barmann sieht aus wie der kleine Bruder von Robbie Williams. Über dem Regal mit den Whisky-und Cognacflaschen sind Flachbildschirme aufgehängt, auf denen ein namenloser amerikanischer Tanzfilm läuft. Aber der Ton ist ohnehin abgestellt.
Der Typ auf dem Hocker rechts von mir ist angeblich der Vampir. Das behauptet jedenfalls mein Kumpel, der links von mir sitzt. Mein Kumpel sagt heute nicht viel, was vielleicht daran liegt, dass seine rechte Hand in einem dicken Verband steckt. Habe mich sich beim Autoreparieren geschnitten, sagt er. Warum ist er nur so komisch drauf, immerhin ist er die Woche krankgeschrieben.
Es gibt ein paar Typen am Ende des Tresens, die Bier trinken. Eine türkische Tussi, die irgendwie zum Barmann gehört, glotzt blöd durch die Gegend. Ich schaue mir den Vampir an. Er sieht bedauernswert aus. Klapperdürr. Leidend. Grau wie ein Kettenraucher. Ein jämmerlicher Vampir und nicht gerade furchterregend. Sagen tut er auch nichts.
Also, wie soll ich anfangen? Ich könnte sagen, hey, ist das nicht verrückt, mein Kumpel behauptet, du seist ein Vampir. Also, ich wollte schon immer mal einen Vampir kennenlernen. Ich überlege eine Sekunde zu lange. Seine Augen irritieren mich. Irgendwie ist der Typ doch furchterregend. Ich halte den Mund und bestelle noch ein Pils. Der angebliche Vampir spiegelt sich im Spiegel hinter dem Tresen. Wie will der denn damit durchkommen? Lächerlich. Ich hätte wissen müssen, dass der Abend ein Scheiß werden würde.
Der Vampirtyp ist seit einer Viertelstunde auf dem Klo verschwunden. Dann macht sich mein Kumpel auf den gleichen Weg. Ich sitze allein herum und langweile mich mit meinem Bier. Nach weiteren fünf Minuten habe ich die Schnauze voll. Auf dem Gang zur Toilette riecht es nach Pisse und diesen Steinen, die sie immer zur Desinfektion einsetzen. Ich stoße die Tür zu der Herrentoilette auf. Mein Kumpel steht gequält vor mir. Verkrampft hat er seine rechte Hand unter den Arm geklemmt. Von dem Vampir ist nichts zu sehen. Blut tropft auf den gekachelten Boden. Ich frage ihn, was los ist. Er starrt mich verstört an. Die beiden hatten wohl Zoff. Ich frage, ob der Andere noch da ist, und ernte ein Kopfschütteln. Ich fluche und drehe mich um. Der Bursche kann noch nicht weit gekommen sein.
Auf der Straße ist nichts los. In hundert Metern Entfernung steht eine krumme Gestalt und schaut zu mir her. Ich renne los. Die Scheinwerfer eines Wagens blenden mich. Da ich nicht hinfallen will, bleibe ich stehen. Meine Augen brauchen ein paar Sekunden, um sich wieder an das Licht zu gewöhnen. Da vorne ist niemand mehr. Ich blicke mich um. Eben stand er noch da und nun ist er weg. Der Kerl hat sich irgendwie in Luft aufgelöst. In diesem Moment beginnt es zu regnen. Fluchend schlage ich den Kragen meiner Jacke hoch und trete den Rückweg an.
Mein Kumpel ist nicht mehr im Flamboyant. Der Barmann hat ihn rausgehen sehen. Hatte schon Angst um die Zeche. Die Gäste schauen mich etwas seltsam an. Ich will ja auch nicht bleiben. Ich zahle alles. Auch für den Vampir, was mich ärgert. In einer Schale liegen Werbe-Streichholzschachteln. Ich stecke eine ein. Als ich die Bar endgültig verlasse, verstehe ich nicht, warum ich meinen
Weitere Kostenlose Bücher