Vanhelsing 01 - Schreckensgalerie
"So erstaunt darüber?"
"Nun..."
"Oder glaubst du, daß ich solcher Gefühle nicht mehr fähig wäre, nur weil wir uns schon etwas länger kennen..."
Wir sahen uns an, und ich verlor mich in diesem unvergleichlichen Blick seiner meergrünen Augen, die mich stets an den Geruch von Seetang erinnerten. An gemeinsame Stunden voller Zärtlichkeit an einem einsamen Strand in Cornwall. An so vieles, das uns für immer verbinden würde...
Diese Augen hatten immer noch etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes für mich. Und ich hoffte, daß das auch in Zukunft so blieb.
"Ich glaube, du weißt gar nicht, wie sehr ich dich liebe, Tom", flüsterte ich.
"Bist du sicher?"
"Ich werde mich nicht mit dir darüber streiten..."
Fast unmerklich hatten wir uns einander angenähert. Unsere Lippen trafen sich nun zu einem Kuß. Für Augenblicke hatte ich das Gefühl, in eine andere Welt entführt zu werden. Ich fühlte mich federleicht und beschwingt. Ein angenehmes Kribbeln machte sich in meiner Magengegend bemerkbar.
Das Schrillen meines Handys unterbrach diese wunderbar romantische Stimmung auf grausame Weise.
Wir tauschten noch einen verliebten Blick. Ich ließ das Handy noch zweimal schrillen, ehe ich endlich zur Handtasche griff und den Apparat herausholte.
Ich meldete mich.
Es war die Redaktion. Evelyn Sounders hatte dort angerufen.
In der Galerie Sounders & McInnerty war etwas Furchtbares geschehen...
*
Es mußten Hunderte von Kerzen sein, die das vollkommen gegen das Tageslicht abgedunkelte Atelier Allan Brennans mit einem weichen, flackernden Licht erfüllten.
Brennan stand vor seiner Staffelei und ließ mit hektischen Bewegungen den farbgetränkten Pinsel über die Leinwand fahren. In seinen Augen glänzte es fiebrig. Ein starrer Zug zeichnete sein Gesicht.
Noch nie hatte Rovenna ihren Bruder bei der Arbeit zu stören gewagt. Das Atelier war immer sein privates Reich gewesen, daß sie nur in Notfällen zu betreten gewagt hatte.
Ein Reich der Dunkelheit und des Kerzenscheins...
Nur Kerzenlicht duldete der Meister bei der Arbeit. Denn nur dieses würde die Farben so erscheinen lassen, wie Allan Brennan sie sehen wollte...
Rovenna hatte mehrmals geklopft, aber Allan war derartig in seine Arbeit vertieft gewesen, daß er sie nicht gehört hatte. Die junge Frau kannte das.
Es war durchaus normal, daß ihr Bruder in einen rauschhaften, fast tranceartigen Zustand verfiel, in dem er dann ein Gemälde nach dem anderen auf die Leinwand brachte, bis er schließlich völlig erschöpft war.
Rovenna öffnete vorsichtig die Tür zum Atelier. Sie knarrte etwas, aber das hörte der Maler ebenso wenig, wie er ihr Klopfen registriert hatte.
"Allan", sagte sie, doch auch darauf reagierte er nicht.
Pinselstrich um Pinselstrich brachte er auf die grundierte Fläche auf. Die geradezu fieberhafte Eile, die er dabei an den Tag legte, wirkte so, als glaubte er, nicht mehr genug Zeit zu haben, um all das, was ihm an Bildern im Kopf umherschwirrte, auf die Leinwand zu bringen.
Er arbeitet wie ein Besessener! ging es Rovenna durch den Kopf. Ein eisiger Schauder überlief sie bei dem Anblick ihres Bruders. Besessen - dieses Wort trifft es genauer, als viele glauben, die in ihm nur einen verschrobenen Künstler sehen...
Rovenna ging in den Raum hinein, ließ den Blick über ein halbes Dutzend verzerrter Dämonengesichter kreisen, die als fertige Gemälde dastanden. Der Kerzenschein ließ diese fratzenhaften, zur Hälfte tierischen Gesichter noch gespenstischer erscheinen. Die Tür fiel ins Schloß. Rovenna trat an ihren Bruder heran und berührte ihn leicht an der Schulter.
Er wirbelte herum, sah sie mit einem entsetzten Gesichtsausdruck an, sagte aber nichts.
"Entschuldige, Allan... Ich wollte dich nicht aus deiner Welt herausreißen..."
"Rovenna!" stieß er schließlich nach einer Pause hervor. Er atmete tief durch. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.
Er ist vollkommen erschöpft! dachte die junge Frau mit Besorgnis. Wenn er so weitermacht, wird er sich völlig zu Grunde richten...
"Wir müssen miteinander reden, Allan!" sagte sie dann drängend.
"Nicht jetzt, Rovenna... Nicht jetzt..."
Er legte die Farbpalette und den Pinsel auf einen groben, hölzernen Tisch. Ein in Leinen gebundenes Buch mit einer Aufschrift aus goldenen Lettern lag dort.
Das LIBRUM HEXAVIRATUM! durchzuckte es Rovenna. Hat damit das Verhängnis begonnen? Ich weiß es nicht...
"Es kann so nicht weitergehen", sagte Rovenna entschieden.
"Oder willst
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