Vanilla aus der Coladose
sie sich schon. Sicher würde es nicht mehr lange dauern, bis ihre irdische Energie verbraucht war und sie in ihre gemütliche Coladose zurückkehren konnte. Um sich von ihrem Wolfshunger abzulenken, hatte Vanilla Pläne geschmiedet, wie sie sich in ihrerneuen Bleibe einrichten wollte. Denn schließlich hatte sie nicht nur eine einzige Dose zur Verfügung, sondern stolze 99 Zimmer. Ankleidezimmer. Spiegelsaal. Speisekammer – ganz wichtig. Das war ein richtiges Schloss. Und sie die Dosenprinzessin. Sie lächelte und zog die Decke noch ein Stück weiter zu sich. Ihre Dosenhoheit sollte schließlich keine kalten Füße bekommen.
»Du, Vanilla«, unterbrach Laili Vanillas Dosenprinzessinnentraum und wälzte sich auf die andere Seite.
»Hmm.«
»Ich hab mir überlegt, was ich mir von dir wünschen könnte.«
Vanilla war von Natur aus neugierig. »Schieß los!«
»Also ich finde, dass Olaf einen Denkzettel verdient hat, nach allem, was wir heute wegen ihm durchgemacht haben.«
Vanilla war ganz Lailis Meinung. »Stimmt. Wenn er dir nicht weisgemacht hätte, dass Fräulein Müller eine Giftschlange ist, dann wäre das alles nicht passiert.« Sie drehte sich zu Laili um. »Dann hätte ich die Schlange gleich genommen und wieder in ihr Terrarium gesteckt. Deckel drauf und fertig.« Wie einfach das klang. »Hast du schon eine Idee, wie du es ihm heimzahlen kannst?«
»Wie
wir
es ihm heimzahlen können«, verbesserte Laili und begann zu lächeln. Mit einem Ruck zog sie die Decke zu sich. »Also, pass auf. Ich habe mir gedacht, wir jagen ihm so einen Schreck ein, dass er davon lebenslänglich Schluckauf kriegt.«
»Schluckauf. Das ist gut!«, rief Vanilla leise. »Mit ein bisschen Pokushokus von mir kriegen wir das locker hin.« Sie strahlte.
Hokuspokus
wollte Laili schon sagen, ließ es aber bleiben. So herum gefiel ihr das Wort viel besser. »Genau«, sagte sie stattdessen. »Was hältst du davon, ihm ein richtiges, echtes Krokodil ins Zimmer zu zaubern?«
»Au ja!« Vanilla nickte begeistert. Sie hielt viel davon. »Oder wie wäre es mit einer haarigen rosa Riesenspinne, die morgen früh auf seinem Bauch sitzt, wenn er aufwacht?«
Laili kicherte. »Und die Spinne begrüßt ihn mit den Worten: ›Guten Morgen, Olaf, du altes Spinnenbein. Ich bin Fräulein Meier und saugiftig. Und große Jungs verspeise ich zum Frühstück!‹ «
Vanilla musste so lachen, dass sie sich schnell die Decke über den Kopf zog. Nur noch ihr Haarschleier schaute hervor. »Oder wir zaubern alle Totenköpfe in seinem Zimmer grün und mit Froschköpfen«, drang ihre Stimme dumpf unter der Bettdecke hervor. »Wie auf meinem Regenmantel. Und dann lassen wir sie im Chor quaken!«
»Genau. Und ich weiß auch schon, was:
Spiel mir das Lied vom Tod!«
Jetzt musste auch Laili unter die Decke schlüpfen, weil sie laut losprustete.
Laili und Vanilla kicherten noch lange weiter. Immer abenteuerlichere Rachepläne schmiedeten sie, die locker für die nächsten drei Jahre reichten. Irgendwann schlief Laili mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht ein.
Nur wenige Minuten später merkte Vanilla, wie ihre Energie verpuffte. Schnell deckte sie Laili mit letzter Kraft richtig zu, bevor sie sich in Luft auflöste. Gold- und silberfunkelnde Luft wohlgemerkt, die wunderbar süß nach Vanille duftete.
Einen langen Glitzerschweif hinter sich herziehend, drehte Vanilla noch eine Runde über Laili, die friedlich mit offenem Mund schlief. Dann schwirrte sie in ihre Coladose zurück, die wieder auf ihrem Ehrenplatz ganz oben auf dem Dosenstapel stand. Sie war wirklich sehr zufrieden mit sich und der Welt und ihrer neuen Familie. Denn ja: Sie
musste
nicht nur, sie
wollte
auch gerne bei Laili einziehen. Für ein Menschenmädchen war sie nämlich gar nicht so übel. Ganz und gar nicht so übel.
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