Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
konntest du dir auch dieses frei stehende Einfamilienhaus in Torre del Poggio leisten, zwei Etagen, Keller, drei Badezimmer, vorne und hinten Garten, Balkon, weitläufige Grünflächen in Gemeinschaftsnutzung, und die Baugenehmigung für den Swimmingpool ist auch schon durch. Du hast dir eine Alarmanlage der neuesten Generation einbauen lassen, bruchsichere Glasscheiben, zwei Thermostate auf jeder Etage. Dein Einkommen war Sicherheit genug für das Darlehen mit dreißigjähriger Laufzeit bei variablen Raten. Möglich war das nur, weil die Ausländer nicht bis ins Innere der Valdera, an der Grenze zwischen Pisa und Florenz, vorgedrungen sind. Noch nicht. Die mögen Naturstein und haben eine ganz bestimmte Vorstellung von der Toskana, eine Zypresse und ein Weinberg in der Nähe sind das Mindeste. Hier aber gibt es nur steile Hügelkämme aus Tonerde mit kleinen dichten Wäldern darauf, und der Herbst beginnt früh. Hinter einer Brücke, die gar nicht weit entfernt über ein Bett aus Brennnesseln führt, liegt ein verlassenes Dorf. Eines Tages kamst du dort vorbei, mit neuen Joggingschuhen an den Füßen und dem guten Vorsatz, etwas für deine Gesundheit zu tun. In einem eingefallenen Haus konntest du ein Bild der durchbohrten Madonna und einen alten, unversehrten Ledersessel erkennen.
Deine Frau hätte eine Neubausiedlung auf der anderen Seite des Hügels vorgezogen, wo man schon den Widerschein des Meeres erahnt. Dort gibt es unzählige Olivenhaine, die funkeln wie Bäume voller Silbermünzen, aber sie spenden keinen Schatten, und das Gras bleibt das ganze Jahr über gelblich.
Du hast Torre del Poggio ausgesucht, weil es näher an der Schnellstraße Florenz –Pisa –Livorno liegt, obwohl die eine einzige Katastrophe ist: viel zu schmale Fahrbahnen, der Asphalt voller Schlaglöcher, Bauarbeiten ohne Ende. Dafür bist du in fünf Minuten bei Aggradi Grafik & Druck.
Bei den meisten heißt die Straße nur Fipilì , für Firenze –Pisa –Livorno. Dieses Fipilì fand deine Tochter Caterina immer sehr witzig. Also hast du die Schnellstraße für sie in eine kleine, zickige Hexe verwandelt, die schuld daran ist, dass du immer so spät nach Hause kommst.
Wie heute Abend.
Du lockerst deine Krawatte, naschst einen Löffel Ragout aus dem Topf und gehst barfuß die Treppe hoch. Auf der obersten Stufe bleibst du stehen, schaust in den goldenen Lichtspalt, der aus dem Zimmer deiner Tochter dringt, und lauschst.
Elisa und Caterina liegen auf dem Bett, unter dem gelben Kegel der Nachttischlampe mit dem pausbäckigen Engel.
Deine Kleine fährt mit dem Zeigefinger über das große weiße Fotoalbum. Du selbst hast den Karton mit Hammerschlagstruktur ausgesucht, es von Hand binden lassen und die Bilder gedruckt, eins nach dem anderen, im Labor deines Freundes Michelangelo.
»Und was sind das hier für welche?«, fragt Caterina.
»Die heißen Maiglöckchen. Hab ich dir gestern schon mal gesagt, weißt du noch?«
»Maiglöckchen. Waren die echt?«
»Klar waren die echt.«
»Dann hat sie dir also jemand auf den Kopf gepflanzt.«
Caterina bricht in Gelächter aus. Deine Tochter hat eine blühende Fantasie.
»Du Dummchen.«
»Wenn sie doch echt waren! Und dann habt ihr sie jeden Tag beim Haarewaschen gegossen. So.«
Caterina imitiert das Rauschen eines Wasserhahns und wühlt in den schwarzen Locken ihrer Mutter. Dem wallenden schwarzen Haar deiner Frau.
»Jetzt gucken wir uns das Foto an, wo du mit Papa in der Burg bist.«
Elisa seufzt. Gemeinsam blättern sie die großen, steifen Seiten um. Vor und zurück. Bis Caterina das Foto mit der Burg, dem Turm und den Wolken findet. Elisa und du eng umschlungen, daneben erkennt Caterina Onkel Mariano und Tante Vanna.
»Hat es da geregnet?«
»Nein. Es war windig, die Maiglöckchen wurden fortgeweht.«
»War dir gar nicht kalt?«
»Nein.«
»Dir war nicht kalt, weil Papa dich umarmt hat.«
»Du bist mir vielleicht eine kleine Romantikerin!«
Elisa knuddelt Caterina und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn. Am liebsten würdest du hineinrennen, zu ihnen aufs Bett springen und sie umarmen. Es erfüllt dich fast mit Scham zu erfahren, wie sehr du geliebt wirst. Du bleibst im Halbschatten oben an der Treppe stehen und beobachtest sie weiter.
»Spielen wir, dass ich auch bei eurer Hochzeit dabei war?«
»Wir spielen, dass jetzt geschlafen wird.«
Caterina lässt nicht locker. Deine Tochter hat einen Dickkopf. Elisa fühlt sich verpflichtet, ein paar Dinge
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