Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Jacke, am besten blau. Blau kommt im Fernsehen immer gut.«
»Zweifellos.« Ich sage auf Wiedersehen, suche eine bequemere Position auf dem Brückengeländer aus Granit und beende das Gespräch. Dann werfe ich das Handy in den Kanal unter mir und richte den Blick wieder nach oben auf das Mansardenfenster.
Die Straßenlaternen spiegeln sich reglos auf dem Wasser. Auch im Fenster ihrer in warmes Orange getauchten Mansarde rührt sich nichts. Von Laura keine Spur, nicht mal ein Schatten zeichnet sich hinter dem Vorhang ab. Dabei sitze ich schon eine ganze Weile hier, um ein Glück zu bespitzeln, das keine Reue, keine Verurteilung sühnen kann. Die Zeit der Strafe ist vorbei, nun beginnt der Fluch. Und damit hatte ich nicht gerechnet.
Um mich herum gehen die Menschen mit ihren Hunden Gassi, schließen die Fensterläden, schauen in den Himmel und rauchen. Ich bin schon ein Geist, wie Elisa, nur gefangen in einem lebendigen Körper.
Ich schlinge die Arme um die Beine, um die feuchte Kälte abzuwehren. Die Nacht scheint erstarrt wie das Wasser im Kanal, wenigstens solange in Lauras Fenster Licht brennt. Kurz nach zwei geht es aus. Vorsichtshalber warte ich noch ein bisschen. Dann springe ich von der Brüstung, schaue mich um und hole meinen alten Steuernummerausweis aus der Brieftasche.
Ich wollte zu ihr. Und was ich, Furio Guerri, will, das nehme ich mir.
Kein Einbrecher käme auf die Idee, in so ein Haus einzusteigen, und Lauras Wohnung hat keine Panzertür. Auf der Insel habe ich gelernt, dass man überall reinkommt.
Ich hoffe nur, dass das Aufschnappen des Schlosses sie nicht geweckt hat.
Ich öffne die Tür einen Spalt breit. Laura liegt auf der Seite, das Kissen auf dem Kopf, die Beine unbedeckt.
Sie ist allein. Das war es, was ich wissen wollte. Niemand anders in ihrem Bett oder auf der Sitzbank, und auch auf ihrem Schlafsofa keine Menschenseele. Also lasse ich mich darauf nieder. Früher stand es woanders, Laura hat es ans Fenster geschoben, mit Blick auf den Hafen.
Laura schaut gern den abfahrenden Schiffen zu. Ich sehe ihre Schuhe in der Ecke liegen. Ich zähle die Zigarettenkippen im Aschenbecher. Es sind acht.
Ich werde sie dazu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören. Sie wird mir ihre vegetarischen Freundinnen vorstellen. Ich werde ihr den Schirm halten, wenn es regnet, und sie wird mir beibringen, Tango zu tanzen. Und eines Tages werden wir darüber streiten, ob wir uns nicht doch wenigstens einen kleinen Fernseher anschaffen und vor dieses Sofa stellen sollen. Man kann nicht immer nur den abfahrenden Schiffen zusehen, wenn man alt wird.
So werden wir es machen. Wir werden uns die Schlepperei der Einkaufstüten teilen. Und den unvermeidlichen Preis der Gewohnheit. Wir werden Seite an Seite in demselben Tempo leben und noch viele Jahre lang so tun, als würden wir nicht altern.
Nichts in diesem Zwielicht kann uns daran hindern. An etwas so Einfachem kann doch nichts falsch sein.
Es kann doch nicht falsch sein, dass ich heimlich mit pochendem Herzen an Lauras Schlafzimmertür stehe und sie beobachte. Es kann nicht falsch sein, dass ihre Beine nicht unter der Decke sind und ihre Hände alle beide. Und dass Laura nicht mehr schläft, aber nicht weiß, dass ich hier bin, in ihrer dunklen Wohnung, während sie sich die Unterhose von den Fußgelenken streift.
Es ist nicht falsch, dass ihre Beine sich öffnen und schließen wie die verwitterten Fensterläden im Wind der Insel. Und dass ich mir einbilde, sie würde an mich denken. Und ich sei wieder der Wind. Illusionen sind zäher als viele Wahrheiten, das habe ich gelernt.
Es kann nicht falsch sein, dass ich mich noch weiter vorschleiche, um ihr Gesicht zu sehen, während jeder ihrer Seufzer wie der letzte klingt. Aber stets folgt ein nächster, der noch lauter ist.
Das alles kann doch nicht falsch sein. Wenigstens bis Laura den Kopf hebt und sich zu mir umdreht, als würde sie mich in der Dunkelheit ganz genau erkennen oder als hätte sie von Anfang an gewusst, dass ich hier bin.
Gleich schreit sie, denke ich. Gleich ruft sie um Hilfe, und dann geht der ganze Ärger wieder von vorne los.
Aber nein. Sie sieht mich an, beißt sich auf die Lippe, spreizt die Beine noch mehr.
Dann streicht sie sich eine ihrer dichten, pechschwarzen Locken aus dem Gesicht.
»Sieh doch, was für einen Spaß es mir macht, Furio. Freust du dich?«
Die Stimme meiner Frau ist das Letzte, was ich höre. Dann stürze ich zur Tür hinaus und die Treppe hinunter.
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