Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
Vom Netzwerk:
dem Blickfeld der Hyänen war. Hinter der Ecke eröffnete sich ein weiterer langer Flur. An den geschlossenen Türen rechts und links hingen bronzene Plaketten mit den Namen der Anwälte, die dahinter arbeiteten – die meisten kannte sie nicht, wie sie feststellte, von manchen hatte sie noch nicht einmal gehört. Offensichtlich war man bei Major Crimes nicht sehr gesellig. Nicht dass oben auf dem zweiten Stock ständig gefeiert wurde, aber dort standen wenigstens die Türen offen, und die Kollegen konnten einander jederzeit in ihren klaustrophobischen Büros besuchen, um sich Rat zu holen, über einen Pflichtverteidiger zu lästern oder einen schnellen Cafè cubano hinunterzustürzen – heißes, flüssiges kubanisches Adrenalin –, das ihre beste Freundin Dayanara Vega, B-Anwältin in Richter Stalders Abteilung, jeden Nachmittag Punkt drei frisch aufbrühte. Es herrschte ein Gemeinschaftsgefühl auf den matten grauen Fluren von Julias Stockwerk. Hier dagegen, auf der
« MachtEtage», fühlte man sich abgeschnitten vom Rest der Welt.
« Charles August Rifkin, Division Chief» stand auf dem Namensschild neben der Tür Nummer 207. Die drei Tassen Kaffee und die Cornflakes, die sie gefrühstückt hatte, machten sich plötzlich unangenehm bemerkbar, und sie betete, ihr Magen würde keine Geräusche von sich geben. Gedämpft war Chief Rifkins Stimme durch die Tür zu hören, doch Julia verstand nicht, was er sagte. Sie hoffte, er sprach am Telefon, denn Publikum war das Letzte, was sie heute Morgen brauchte. Ein letztes Mal trocknete sie die Handflächen an ihrem Rock, dann klopfte sie an. Nach einer kurzen Pause sagte jemand:
« Herein.»
« Guten Tag», sagte sie beim Eintreten tapfer. Sie versuchte, den Klappwagen hinter sich herzuziehen, doch er blieb am Türrahmen hängen.
« Den können Sie draußen lassen», sagte eine zweite Stimme aus dem toten Winkel hinter der Tür. Eine Stimme, die ihr überaus bekannt vorkam. Sie zuckte zusammen, nickte und schob den Wagen auf dem Flur an die Wand. Dann atmete sie tief ein und kehrte in Rifkins Büro zurück. Hinter ihr wurde leise die Tür geschlossen, aber es war nicht Rifkin, der vor ihr hinter seinem überdimensionierten Schreibtisch in seinem Ledersessel saß und sie mit finsterer Miene ansah. Der andere Mann ließ sich in einem der roten Ledersessel vor dem Schreibtisch nieder und bedeutete ihr, ebenfalls Platz zu nehmen. Es hatte also doch noch schlimmer kommen können.
« Guten Morgen Julia», sagte Ricardo Bellido kühl, der stellvertretende Leiter von Major Crimes.
« Rick» trug einen konservativen schwarzen Anzug von Hugo Boss, ein blütenweißes Hemd und eine Seidenkrawatte. Das Grau der Krawatte betonte die silbernen Schläfen seiner ansonsten rabenschwarzen, dichten Locken, was ihm durchaus schmeichelte. Einen viel zu langen Augenblick starrte sie ihn an, doch er lächelte nicht. Er blinzelte nicht einmal. Kein Hellseher hätte erraten können, dass wir vor drei Tagen zum ersten Mal miteinander geschlafen haben, ging es Julia durch den Kopf. Sie fragte sich fast, ob sie sich alles nur eingebildet hatte.
« Ich habe Sie vorhin im Gerichtssaal beobachtet», begann Charles Rifkin verdrießlich.
« Sie legen sich wohl gern mit Farley an?» Bevor Julia etwas erwidern konnte, wandte er sich an Rick und sagte ausdruckslos:
« Sie will einen Fall von häuslicher Gewalt verhandeln – ohne Opfer. Lenny hat getobt.»
« Ist ja nichts Neues», entgegnete Rick schulterzuckend.
« Wie lange sind Sie bereits in seiner Abteilung?», fragte der Chief und tippte ungeduldig mit dem Finger gegen seinen Kaffeebecher.
« Vier Monate», antwortete Julia. Vier Monate, eine Woche und einen Tag, um genau zu sein. Vier Monate zu lang. Sie straffte die Schultern und setzte zu ihrer Verteidigung an.
« Farley wollte die Verhandlung –» Doch Rifkin schnitt ihr das Wort ab.
« Darum geht es hier nicht.» Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder beunruhigt sein sollte. Mit einer fast feierlichen Geste zeigte Rifkin auf Rick Bellido, und seine Miene schien noch finsterer zu werden. Julia spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss – ein weiteres Erbe ihrer Mutter, die die helle Haut ihrer irischen Vorfahren an sie weitergegeben hatte. Bitte lass es nichts mit Rick und mir und der Firmenpolitik zu tun haben ...
« Gestern ist in Coral Gables eine Familie ermordet worden», sagte Rick.
« Wahrscheinlich haben Sie davon gehört.» Julia hatte den Atem angehalten, und als sie nun Luft

Weitere Kostenlose Bücher