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Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)

Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)

Titel: Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Günder-Freytag
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dass es Kreaturen gibt, die schlimmer und erbarmungsloser sind, als ich es mir vorstellen konnte, hielt ich es für eine grausame Idee. Es war der Endpunkt, nein, das Ausrufezeichen nach einer Reihe von Torturen, die sich das Leben für mich ausgedacht hatte.
    Ich wuchs als Älteste von vier Kindern auf einem reichen Gut an der Küste von Westfrankreich auf. Mein Vater, Graf Henri de Viellvient, besaß viel Land und wie die meisten Gutsbesitzer ließ er Wein anbauen. Der Handel florierte und er hatte es zu großem Reichtum gebracht. Das äußerte sich allerdings nicht darin, dass wir Kinder besonders großzügig behandelt wurden.
    Solange unsere Mutter noch lebte, war das anders gewesen, doch ein überraschend kalter Winter und die Geburt ihres letzten Kindes hatten sie so weit geschwächt, dass sie verstarb, als ich zehn Jahre alt war. Ich denke noch heute mit großer Zärtlichkeit an sie, da sie es war, die mir lesen und schreiben beibrachte. Meinem Vater war die Erziehung von uns Mädchen vollkommen gleichgültig. Er wünschte sich einen Sohn und es schien, als ob wir Töchter ihn allein durch unsere Anwesenheit beleidigen würden.
    Nach dem Tod unserer Mutter blieben ihre Aufgaben wie selbstverständlich an mir hängen. Ich kümmerte mich um meine jüngeren Geschwister, überwachte, soweit ich das konnte, die Hausangestellten und kümmerte mich um die Einkäufe. Die wenige freie Zeit, die mir blieb, las ich. Wenn mich mein Vater erwischte, schimpfte er, dass ich die Zeit verschwendete. Dass ich zu nichts taugte und ein unnützer Fresser wäre. Es war eine anstrengende Zeit, in der ich viel lernte, aber doch hoffte, dass mich irgendwann einmal ein Mann retten würde.
    Meine jüngste Schwester Anna starb im Winter darauf. Sie hatte sich beim Gesinde angesteckt, das zur Hälfte daniederlag. Ich konnte ihr nicht helfen. An ihrem Bett sitzend, flößte ich ihr fiebersenkende Mittel ein. Ich betete, weil ich gesehen hatte, dass die älteren Mägde es taten, doch nichts half. Sie starb nach drei Nächten in meinen Armen. Meinem Vater war ihr Tod gleichgültig. Er zuckte nur mit den Schultern und knurrte mich an, ich sollte aufpassen, dass meinem Bruder Louis nichts geschah. Anderenfalls sollte ich diesen Winter auch nicht überleben.
    Mein Vater hatte sich einen besonderen Schutz vor Krankheitserregern zugelegt: Er trank den ganzen Tag. Er versammelte Freunde um sich, die einen guten Tropfen schätzten, und sie begannen bereits am Morgen mit dem Gelage, das bis in die tiefe Nacht hinein dauerte. Ich würde diesen Umstand nicht erwähnen, wenn es nicht notwendig wäre, das Übel, das diese Wandlung mit sich brachte, zu erklären. Es blieb bei den Trinkgelagen. Auch als die Epidemie vorüber war, trank der Graf weiter. Ich werde ihn ab jetzt den Grafen nennen, da es für mich, Gott soll mich strafen, nicht mehr möglich ist, ihn als Vater zu bezeichnen.
    Die Gelage wurden zum festen Bestandteil unseres Tagesablaufs. Der Wein ging nie aus, wie konnte es bei einem Weingut anders sein. Die Kumpane, die sich einstellten, wurden nie weniger, sondern immer mehr. Die Küche war den ganzen Tag damit beschäftigt, die Herren satt zu bekommen. Die Mägde waren vor den Betrunkenen kaum sicher. Es waren unchristliche Zeiten, in denen ich mit meiner Schwester Lisette und meinem Bruder Louis groß wurde.
    Bald schon ließ mein Vater Louis zu sich holen. Er war der Meinung, dass der Junge männliche Vorbilder brauchte, und schon lange genug am Rockzipfel der Weiber gehangen hätte. Damals war Louis gerade einmal vier Jahre alt und ein weiches, leicht zu beeindruckendes Kind. Er hatte bald ein Scheusal aus ihm geformt. Oft saßen Lisette und ich in der Kapelle und weinten. Die Kapelle war der einzige Raum, in dem man seine Ruhe vor den Männern hatte. Nie wäre der Graf auf die Idee gekommen, auch nur einen Fuß in das Gebäude zu setzen.
    Ich war von früh bis spät beschäftigt. Lisette half, so gut es ging, doch sie war noch ein kleines Kind und von zarter Statur. Wenn ich nicht den ganzen Tag auf den Beinen gewesen wäre, wäre mir vielleicht schon damals aufgefallen, wie unterschiedlich wir waren. So hielt ich es für eine Laune der Natur, die Lisette hübsch und fein heranwachsen ließ und mich gänzlich anders. Lisette war, wie Louis auch, von hoher, schlanker Gestalt, hellhäutig und blond. Sie versprach, eine Schönheit zu werden.
     
    Im Herbst des Jahres 1562 lud der Graf zur Jagd. Es wurden so viele Männer erwartet, dass es

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