Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
der Oberlippe umso mehr hervorhob. Die für einen Mann zierlichen Hände hatte Arconoskij vor seinem energischen Mund, der immer zu lächeln schien, verschränkt. Er hatte lange, schmale Hände mit langen Fingern. Es war nichts an Arconoskij, das ihn auf den ersten Blick unsympathisch gemacht hätte. Ein gepflegter Mann, Anfang vierzig. Vielleicht ein wenig eitel, aber daran konnte Comitti seinen Widerwillen in Bezug auf sein Gegenüber nicht festmachen.
»Ich habe von dem Eintreffen des Schreibens erfahren. Und da es die Sicherheit des Vatikans betrifft, bin ich verpflichtet …«, sagte Arconoskij.
Abermals unterbrach ihn Comitti. Er war zu dem Schluss gekommen, dass es ihm egal war, warum er Arconoskij nicht leiden konnte, er wollte ihn loswerden. »Sie können es sofort haben. Selbstverständlich hätte ich es gemeldet, wenn mir die Warnung in dem Brief relevant vorgekommen wäre.«
»Für wen halten Sie sich, dass Sie das beurteilen können?»
Pater Comitti senkte den Kopf. »Es stand nicht in meiner Absicht, irgendetwas zu entscheiden. Sie können nicht erahnen, wie viele fehlgeleitete Geister an den Vatikan schreiben. Hunderte dieser Briefe gehen jährlich durch meine Hände. Tausende.«
»Und doch war etwas an diesem, das Sie veranlasst hat, ihn mit nach oben zu nehmen.« Prüfend betrachtete Arconoskij das alte Gesicht.
Der Pater errötete. Er wollte nicht zugeben, dass er sich auf eine interessante Nacht gefreut hatte. Die Tatsache, dass sich in der Kladde, die der Sicherheitschef auf den Knien hielt, Warnbriefe befanden, die vor mehr als dreihundert Jahren geschrieben worden waren, hatte ihn neugierig gemacht. »Ja, es gab etwas, das mich stutzig werden ließ. Allerdings fürchte ich, dass meine Mitbrüder dafür verantwortlich sein könnten. Sie halten mich mit meiner vielleicht sündigen Neigung zu allem Übernatürlichen für ein wenig sonderbar.« Verschämt senkte er den Blick.
»Nun, wie ich bereits erwähnte, bin ich ebenfalls an dem Schriftstück interessiert.«
»Dann nehmen Sie es.« Comitti richtete sich auf. »Sie haben es ja schon. Warum Sie allerdings in mein Zimmer eindringen und durch meine persönlichen Sachen schnüffeln mussten, ist mir schleierhaft.« Comitti hatte seine Sicherheit zurück und forderte Arconoskij mit hartem Blick auf.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, das ist normalerweise nicht meine Art. Allerdings konnte ich nicht wissen, wann Sie vom Gebet zurückkehren würden. Es scheint manche Abende besonders lange zu dauern. Zuweilen, wie man mir zutrug, die ganze Nacht.«
Pater Comitti errötete erneut und zu seinem Ärger bis weit unter die nach hinten gerutschten Haarwurzeln. Er schlief häufig bei der Abendandacht ein. Bisweilen hatte er ganze Nächte in der Kapelle verbracht. Dieser Sicherheitschef schien über alles Bescheid zu wissen.
»Sie hätten mir Bescheid geben können. Ich hätte Ihnen die Kladde sofort zukommen lassen.«
»Seien Sie nicht erzürnt, Pater. Ich dachte mir, wir könnten uns eine gemütliche Nacht machen und den beigelegten Text gemeinsam lesen. Ich dachte, Sie lesen und ich schenke ein.« Mit einer schnellen Bewegung hatte Arconoskij eine Flasche Wein und zwei Gläser auf den Tisch gestellt. Die Kladde lag ebenso plötzlich vor Comitti, der angesichts der Wendung überrascht seine buschigen Augenbrauen runzelte. Arconoskij entkorkte den Wein, hielt sich den Korken prüfend unter die Nase und strahlte.
Comitti war erstaunt, wie sich das Gesicht des Sicherheitsbeamten innerhalb der letzten Sekunden verwandelt hatte: War er ihm gerade noch unsympathisch und streng vorgekommen, erschien er ihm im Augenblick wie ein Schuljunge, der sich einen Streich ausgedacht hatte und sich unbändig auf etwas freute.
Er schenkte ein und der Pater bemerkte wohlwollend, dass es sich um seinen Lieblingswein handelte. Sogar sein bevorzugter Jahrgang. Er nahm ein Schlückchen, nachdem er das Glas geschwenkt hatte, um das Bukett freizusetzen. Ein hervorragender Tropfen. Er sah Arconoskij fragend an und schlug die Kladde auf.
»Soll ich erst die Briefe vorlesen oder gleich den Text?«
»Den Text, Comitti, den Text. Aber zuerst lassen Sie uns auf eine Nacht trinken, die wir nie vergessen werden.« Er hob sein Glas.
Liebe
1562
Mit siebzehn war ich gezwungen, dem Kloster beizutreten. Es war nicht aus freiem Willen, bei Gott nicht. Heute wäre ich dankbar, Gott auf diesem Wege dienen zu dürfen. Doch damals, als mir noch nicht klar war,
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