Venezianische Verlobung
ihre Bilder jemals würde verkaufen müssen. Dafür liefen ihre Geschäfte – Glas, Getreide, Bergbau – zu gut.
«Ich habe immer noch nicht verstanden, was du auf dem Empfang der mexikanischen Delegation wolltest», sagte Tron, nachdem der Diener den Salon verlassen hatte.
«Maximilian braucht dringend ausländisches Kapital» sagte die Principessa. Wie immer, wenn sie über Geld sprach, klang ihre Stimme kühl und distanziert. «Außer mir war auch ein Vertreter des Wiener Bankvereins auf dem Empfang. Ihm hat das Tigerfell nicht gefallen, aber die Mexikaner waren begeistert. Der Tiger ist der König des Dschungels. Das Tier, das alle anderen Tiere beherrscht.»
«Jeder Esel kann sich ein Tigerfell umhängen.»
«Nicht jeder Esel kommt auf den Gedanken. Wir schicken ganze Schiffsladungen Glas nach Amerika, und unser Glas ist nicht besser als das, was sie in Baltimore oder in Boston herstellen. Aber wir vertreiben unser Glas in Schachteln, auf denen in großen Buchstaben VENEZIA steht. Wir verkaufen nicht nur den Inhalt, sondern auch die Verpackung.»
«Und genauso ist das mit Maximilians Uniform?»
«Maximilian weiß, was die Mexikaner erwarten, und das gibt er ihnen.»
«Mit einem Tigerfell über der Schulter.»
«Über das nach seiner Ansprache alle geredet haben, was Maximilian vermutlich beabsichtigt hatte. Er kam nicht in die Verlegenheit, sich über sein politisches Programm äu ßern zu müssen – woher das Geld für eine eigene mexikanische Armee kommen soll, beispielsweise, und wie er es mit den Kirchengütern halten wird, die Benito Juárez konfisziert hat. Der Erzherzog ist ein Liberaler. Aber nach Mexiko geht er als Galionsfigur der Konservativen. Er muss also lavieren.»
«Hattest du Gelegenheit, ihn zu sprechen?»
«Ich bin ihm vorgestellt worden. Er hat sich gleich nach dir erkundigt. Seine Schwägerin Elisabeth hat offenbar ein Loblied auf dich gesungen. Er wollte wissen, ob du immer noch im Amt bist.»
Tron hob die Augenbrauen. «Gab es einen Grund für diese Frage?»
«Vermutlich wollte er dem Gespräch eine persönliche Note geben.»
«Weiß der Erzherzog, dass wir verlobt sind?»
«Er weiß nur, dass wir uns kennen.»
«Dann hat zumindest er sich also nicht nach einem Heiratstermin erkundigt.»
«Aha. Hat deine Mutter wieder eine Bemerkung gemacht?»
«Allerdings.»
«Was hast du geantwortet?»
«Das Übliche. Dass du erst nach deiner Geschäftsreise nach Wien über einen Termin für unsere Hochzeit nach denken kannst. Dass die neue Glaskollektion für den Verkauf in Frankreich so wichtig ist, dass du nach Paris musst: Das hört sich die Contessa jetzt schon über ein Jahr an. Sie fragt sich natürlich, ob wir …»
«Uns noch lieben?»
Tron nickte.
«Du inzwischen auch?»
«Ich bin nicht egozentrisch genug, um kein Verständnis für dein Zögern zu haben. Du brauchst freien Raum um
dich herum, und einen Teil dieses Raumes würdest du an mich abgeben müssen, wenn wir verheiratet wären. Aber es gibt noch einen anderen Grund, weswegen ich dich nicht dränge.»
«Welcher?»
Tron zögerte ein paar Sekunden. «Dein Geld. Du kennst den Zustand, in dem der Palazzo Tron ist. Es finden jede Menge Heiraten in Venedig nur des Geldes wegen statt.»
«Reizt es dich nicht, mit der Polizeiarbeit aufzuhören und dich ganz dem Emporio della Poesia zu widmen? Du beschwerst dich doch immer darüber, dass du als Herausgeber nicht genug Zeit hast.»
«Ich würde nicht aufhören zu arbeiten, wenn ich Geld hätte. Ohne die Polizeiarbeit würde ich mich vermutlich den ganzen Tag mit dem Emporio della Poesia beschäftigen und langsam die Bodenhaftung verlieren.»
«Es gibt noch andere Möglichkeiten, nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Erinnerst du dich an mein Angebot, den Vertrieb innerhalb der Monarchie zu übernehmen?»
«Das liegt mir nicht.»
«Du redest, als wollte ich dich mit einem Musterkoffer auf die Reise schicken.»
«Du wirst mich nirgendwohin schicken. Ich habe die Absicht, auch weiterhin jeden Morgen in die questura zu gehen. Mein Gehalt reicht mir.»
«Wenn dein Gehalt reichen würde, müsstet ihr euch nicht alle sechs Monate von Teilen eures Inventars trennen. Irgendwann ist das letzte Bild und die letzte Kommode verkauft. Was macht ihr dann? Den Palazzo verhökern?»
Die Principessa sah Tron einen Augenblick lang aufmerksam an. «Aber es geht nicht nur um die Bodenhaftung. Habe ich Recht?»
Tron stellte fest, dass er es
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