Venezianische Versuchung
Todesangst erfüllte sie. Doch gerade, als sie glaubte, nun sterben zu müssen, ließ der Venezianer sie los. Wenn der Diener sie nicht festgehalten hätte, wäre sie wohl gestürzt. Tief atmete Jane ein. Ihre Kehle schmerzte entsetzlich, aber sie spürte, wie frische Luft in ihre Lunge strömte.
Boshaft lächelnd trat di Rossi einen Schritt zurück.
Er musste der Teufel persönlich sein! Oder zumindest vollkommen verrückt! Zunächst war es ihre größte Furcht gewesen, er könne sie vergewaltigen. Nun fürchtete Jane auch um ihr Leben.
„Sie dürfen nicht so aufsässig sein, cara“, sagte er sanft. „Ich hoffe nicht nur auf ihren Gehorsam, ich erwarte , dass Sie mir in allem gehorchen.“
„Sie haben kein Recht, irgendetwas von Jane zu erwarten“, rief Diana. „Sie schuldet Ihnen weder Gehorsam noch sonst etwas!“
„Unsinn“, widersprach di Rossi. „Sie gehört mir. Und sie wird mir in allem zu Willen sein. Wenn ich sie erst entjungfert …“
„Nein“, stöhnte Jane. Ihre Kehle brannte noch immer, und ihre Stimme klang brüchig. „Nein.“ Bestimmt würde er sie freilassen, wenn er die Wahrheit erfuhr. „Ich bin keine Jungfrau.“
Ungläubig starrte er sie an. „Natürlich sind Sie noch jungfräulich.“
Sie schüttelte den Kopf. Dass sie das Bett mit Richard geteilt hatte, schien eine Ewigkeit her zu sein. Dabei waren seitdem nur wenige Stunden vergangen.
Di Rossi musterte ihr Gesicht, und seine Miene spiegelte wachsenden Zorn wider. „Aston!“, stieß er hervor. „Dieser Bastard hat es tatsächlich gewagt …“
Er brach ab, weil aus der Eingangshalle ungewohnte Geräusche an sein Ohr drangen. Irgendwer schien an die Haustür zu klopfen, laut und ungeduldig. Dann schrie eines der Hausmädchen ängstlich auf.
Auch Jane spitzte die Ohren. Ein Wort hatte sie ganz deutlich gehört: Soldato. Würde man Diana und sie nun retten? Zum ersten Mal, seit man sie in die Gondel geworfen hatte, regte sich Hoffnung in ihr.
War es denkbar, dass Richard irgendwie herausgefunden hatte, wo man sie gefangen hielt? Hatte er Männer engagiert, um sie zu befreien?
„Wer wagt es, mich zu stören?“, brüllte di Rossi außer sich vor Wut. Dann bedeutete er dem Diener, der an der Tür Wache hielt, mit einer Geste, dass er sich in die Eingangshalle begeben solle. „Niemand darf das Haus betreten! Ist das klar?“
Der Diener rannte die Treppe hinunter, sichtlich erleichtert darüber, dass er nicht mit seinem Furcht einflößenden Herrn in einem Raum bleiben musste. Jane sah, dass der Mann, der noch immer Dianas Handgelenke umklammerte, unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat. Vermutlich fühlte sich auch der dritte Diener, derjenige, der sie selbst festhielt, nicht wohl in seiner Haut. Sie hatte davon gehört, dass jedermann in Venedig die Soldaten des Senats fürchtete.
„Sie lächeln, Signorina?“, fragte di Rossi mit gefährlich ruhiger Stimme. Offenbar hatte er ihren Gesichtsausdruck falsch gedeutet. Schon hob er die Hand, um sie zu schlagen. „Sie, die es gewagt haben, mich um das zu betrügen, was mir allein zugestanden hätte? Ich werde Sie bestrafen, indem ich …“
Sie sollte nie erfahren, womit er ihr drohte. Denn in diesem Moment wurde mit lautem Krachen die Haustür der Ca’ Colomba aufgebrochen. Noch waren vereinzelte Schreie der verängstigten Dienstboten zu vernehmen. Doch sie wurden von lauten aufgebrachten Männerstimmen übertönt. Dann waren von der Treppe her schwere Schritte zu hören.
Signor di Rossi zog seinen Degen und schaute angespannt zum Treppenhaus hin. Der Mann, der Jane festgehalten hatte, stieß einen leisen Fluch aus, wechselte einen kurzen Blick mit seinem Kollegen, der noch bei Diana stand, und dann verschwanden die beiden eiligst durch die schmale Tür, die zum Dienstbotenflur führte.
Als die Tür ins Schloss fiel, fuhr di Rossi herum. „Feiglinge!“, schrie er. „Verflucht, wer hat die Tür aufgeschlossen? Guido, Paolo, bleibt hier und kämpft!“ Aber die Männer waren bereits verschwunden.
Jane versuchte abzuschätzen, wie groß die Chance für sie und Diana war, sich an di Rossi vorbei ins Treppenhaus zu drängen, wo sie sich wahrscheinlich in Sicherheit befinden würden. Verflixt, wenn er doch diesen Degen nicht gezückt hätte! Trotzdem, sie mussten es wagen!
„Hierher, Diana“, rief sie und streckte ihr die Hand hin. „Schnell, zu mir!“
Im gleichen Moment stürmten mehrere mit Degen und Musketen bewaffnete Soldaten in blauen Röcken
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