Venezianische Versuchung
paar Schritte auf die Frau zu und bat sie auf Italienisch, ihren Bericht ein wenig deutlicher und langsamer zu wiederholen.
„Sequestratore!“, rief die Köchin, und erneut kam ein Schwall italienischer Wörter aus ihrem Mund, während sie gleichzeitig die Hände rang.
„Was ist los, Randolph?“, drängte Richard, dessen Herz sich vor Angst und Sorge schmerzhaft zusammenzog. „Was zum Teufel erzählt sie denn?“
Lord Anthony sah sehr ernst drein. „Sie sagt, dass Diana und Miss Wood am Kanal spazieren gingen. Dann seien zwei Schurken aufgetaucht und hätten Miss Wood zu einer Gondel geschleppt. Als Diana laut protestierte und um Hilfe rief, sei sie auch entführt worden.“
„Ich verstehe nicht, wie so etwas passieren konnte!“, rief Signora della Battista auf Englisch. „Wer würde so etwas tun? Meine Herren, wir müssen nach der Wache schicken. Wir müssen den Senat verständigen. Wer könnte so verrückt sein, zwei englische Damen zu entführen?“
Richard starrte sie einen Moment lang an. Er wusste, wer für den Überfall verantwortlich war. Davon war er überzeugt. Nur einer kam dafür infrage, jener Mann, der Jane schon mehrfach belästigt hatte. Dieser verfluchte di Rossi! Nun hatte er offenbar auch Diana und deren ungeborenes Kind in seine Gewalt gebracht! Blieb da überhaupt Zeit, auf die Wache zu warten? Zum Teufel mit den Venezianern! Er selbst musste etwas unternehmen. Ja, er würde Jane und Diana zu Hilfe eilen, sie befreien und di Rossi für seine grausame Tat bestrafen.
Wenn er erst damit fertig war, würde der Schurke wünschen, nie geboren worden zu sein!
Signor di Rossi konnte seine Ungeduld kaum zügeln. Obwohl seine Gondel erstaunlich schnell durchs Wasser glitt, hätte er den Gondoliere am liebsten weiter zur Eile gedrängt. So oft war er nun enttäuscht worden, sei es durch die Inkompetenz anderer oder infolge eigener Fehler. Jetzt schien ihm endlich Erfolg beschieden zu sein. Seine Männer hatten die kleine Gouvernante entführt und sie an einen sicheren Ort gebracht, wo sie nun auf ihn wartete. Ein heißer Schauer der Vorfreude überlief ihn. Diesmal würde sie ihm nicht entkommen! Diesmal würde er sie sich unterwerfen. Diesmal würde er sie ganz und gar zu der seinen machen.
Er zog seine schwarzen Handschuhe zurecht, denn vor lauter Erregung hatte er seine Hände nicht ruhig halten können.
Auf seinen Befehl hin hatte man Jane in die Ca’ Colomba gebracht, in ein kleines Haus, das di Rossi auf einer der vielen Inseln besaß, die zu Venedig gehörten. Früher hatten dort vornehme Familien gewohnt. Doch im Laufe der Zeit war der Glanz verloren gegangen, und nun galt die Gegend als recht gefährlich. Das war einer der Gründe dafür, dass der Venezianer seinen Degen umgeschnallt hatte. Er wollte nicht riskieren, kurz bevor er sein Ziel erreichte, von Straßenräubern gestoppt zu werden.
Ein boshaftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Doch da er eine Maske trug, verrieten nur seine Lippen, in welch gehobener Stimmung er sich befand.
Vor langer, langer Zeit hatten Nonnen in der Ca’ Colomba gelebt, die damals natürlich noch nicht so hieß. Es hatte sich um Mitglieder eines Ordens gehandelt, die irgendwann in einen Skandal verwickelt und schließlich wegen unzüchtigen Verhaltens aus der Kirche ausgeschlossen worden waren.
Der Vorfall war in Vergessenheit geraten, und beinahe zweihundert Jahre lang hatte sich niemand um die Geschichte des Hauses gekümmert. Dann jedoch hatte di Rossi beschlossen, zu den Anfängen zurückzukehren. Gemeinsam mit einigen Freunden hatte er verschiedene Kurtisanen dort empfangen und Orgien gefeiert, für die – wie er fand – sein eigener Palazzo nicht den richtigen Rahmen bot. Die venezianische Moral war von ungewöhnlicher Großzügigkeit geprägt. Dennoch vertrat di Rossi die Meinung, dass der Name einer Familie wie der seinen geschützt werden musste. Diskretion war wichtig.
Tatsächlich war er sehr stolz darauf, wie geschickt und unauffällig er vorgegangen war, um die kleine Gouvernante direkt vor der Nase dieses dummen Engländers zu entführen. Der Duke sollte sich ruhig an den Senat wenden. Man würde nur die Schultern zucken. Gewiss hatte niemand beobachtet, wie Miss Wood gekidnappt wurde. Deshalb würde alle Welt glauben, die ehemalige Gouvernante sei ihrer jetzigen Arbeit überdrüssig gewesen und habe sich heimlich davongemacht, um sich eine bessere Stellung zu suchen. So etwas passierte beinahe täglich. Und
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