Venice Beach
zufrieden darüber, so glimpflich wegzukommen. Gewiss, in diesem Fall handelte es sich um einen Mordfall, also um einen wesentlich schwereren Fall, aber in diesem Stadium kannte man den Grad meiner Verwicklung noch nicht, und man konnte sogar annehmen, dass ich nichts von Jacks Schuld wusste. Eine Beziehung mit einer verdächtigen Person zu unterhalten, war kein Vergehen, höchstens ein Missgriff. Ich konnte zudem darauf bauen, dass Jack mich nicht in die Sache hineinziehen würde, dass er mich sogar entlasten würde, wenn man ihn etwa zu eingehend befragte oder versuchte, die Wahrheit aus ihm herauszupressen. Ja, in diesem Moment wäre es mir noch möglich gewesen, aus der Sache herauszukommen.
Aber das wäre schlimmer gewesen als Verrat, schlimmer sogar als Feigheit. Wenn ich Jack aufgegeben hätte, würdeich alles, was wir gelebt haben, verleugnet, alles, was uns verband, mit Füßen getreten und eingestanden haben: Diese Liebe ist weniger wert als meine eigene Zukunft. Das war undenkbar. Ich habe es nicht in Betracht gezogen.
Später hat man aus Sarkasmus oder Verachtung behauptet, ich hätte einer absurden romantischen Stimmung nachgegeben. Aber diejenigen, die dies in die Welt setzten, haben nichts, gar nichts von dem verstanden, was sich zwischen Jack Bell und mir abgespielt hat. Sie haben nichts als eine Sexstory oder eine verrückte und schmutzige Geschichte darin gesehen. Sie haben uns einfach verdammt, ohne sich die Zeit zu nehmen, uns zu richten, haben uns bespuckt, ohne uns das Almosen zu gönnen, sich für uns zu interessieren. Wir waren das Symbol für alles, was sie verabscheuten. Das, was sie sagen oder denken mochten, war für mich ziemlich egal.
Ich habe Jack zu Hause angerufen.
Ich teilte ihm mit, dass wir den Beweis für seine Schuld hätten.
Dass die Polizisten in knapp einer Stunde bei ihm sein würden, dass sie kämen, um ihn festzunehmen.
Ich sagte zu ihm: »Das bedeutet mindestens zwanzig Jahre Gefängnis. Vielleicht den elektrischen Stuhl.«
Ich fügte im selben Atemzug hinzu: »Es ist noch Zeit zur Flucht.«
Es ist geschehen. Ich habe den Eid, den ich am Tag meines Eintritts in die Polizei abgelegt habe, mit Füßen getreten. Habe das Abzeichen, das ich trug, in die Gosse geworfen.Und das Vertrauen von McGill missbraucht, der mich nie betrogen hatte. Ich zögerte nicht eine Sekunde.
Ich erinnere mich an Jacks Schweigen, als wir telefonierten. Ich hörte nur seinen Atem. Ich ahnte den Schock, die Verzweiflung, den Zusammenbruch der Welt. Ich wäre gern bei ihm gewesen, um ihn zu halten, zu umarmen, aber ich hatte den schnellsten Weg gewählt: Die Zeit war knapp, man musste rasch handeln, wenn ich ihn aufgesucht hätte, wären kostbare, vielleicht entscheidende Minuten verloren gegangen. Aber diese Distanz zwischen uns war nicht auszuhalten. Es war unerträglich, in einem solchen Moment getrennt zu sein. Ohnmacht und Kummer drückten mich nieder. Ich stellte mir das schöne Gesicht Jacks vor, vollkommen bleich, seinen zerbrechlichen Körper, das Blut, das in seinen Schläfen pochte, das Klopfen seines Herzens, seine Einsamkeit. Ich sagte: »Wir treffen uns im Motel.«
Einige Sekunden sind verflossen, und er hat nur mit einem, wie ich mir vorstellte, gezwungenen Lächeln geäußert: »Also wie Butch Cassidy und Billy the Kid?«
Dass man mich nicht missversteht: Diese letzte Begegnung habe ich ihm nicht aus Mitleid vorgeschlagen. Sondern aus Liebe.
Ich sage:
letzte Begegnung
, aber ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es die letzte sein würde. Gewiss, ich ahnte, dass wir nicht mit heiler Haut davonkommen würden. Vor der Polizei kann man nicht lange fliehen. Sie findet dich immer, wenn sie sich entschließt, dich zu jagen. Und wenn jeder dein Gesicht kennt, hast du praktisch keine Chance, ihr zu entkommen, es wird sich immer jemand finden, der dich erkennt und verpfeift. Aber ich wollte noch daran glauben, obwohl alles dagegen sprach.
Jack selbst sah klar: Es würde uns gehen wie den beiden Cowboys, das Haus würde umstellt werden, die Gewehre würden geladen und auf uns gerichtet sein, und man würde uns auffordern, uns zu ergeben.
Ich war merkwürdig ruhig. Ich habe mechanisch die Akten auf meinem Schreibtisch geordnet, die Stifte an ihren Platz gelegt, den Raum prüfend überblickt. Meine Bewegungen waren methodisch. Ich habe zunächst in Betracht gezogen, Laura anzurufen, dann aber darauf verzichtet. Ich hatte nicht genügend
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