Venus allein zu Haus
das für ihn kein Problem) und kann sich natürlich den Labellowitz über fettige Haare und den Lippenpflegestift, den er nun nicht mehr braucht, nicht verkneifen.
»Halt die Klappe«, sage ich und schiebe ihn in Richtung Haustür. Dort bleibt er stehen und greift nach dem obersten gelben Post-it, welches am Rahmen klebt.
»Müll runterbringen?«, liest er vor und sieht mich fragend an. Dann reißt er der Reihe nach die anderen Zettelchen herunter. »Tetanusimpfung auffrischen, Ölstand checken, Steuerunterlagen abschicken. Was? Du hast deine Steuererklärung noch nicht gemacht?«
»Ich schon«, sage ich und entreiße ihm die Zettelchen, »die sind doch für Jan gewesen.« Bernd gibt einen Laut von sich, den ich nicht richtig zu deuten vermag. Aber was er sagt, ist eindeutig:
»Was macht er jetzt bloß ohne seine Mami?« Grinsend läuft er die Treppe hinunter, bevor ich ihn ganz fest auf den Arm hauen kann. Während ich die Tür schließe, sehe ich auf das gelbe Papierchen in meiner Hand hinunter.
»Müll runterbringen.« Ganz ehrlich, wir wären im Müll ertrunken, wenn ich ihn nicht daran erinnert hätte. Bin ich deswegen ein Drachen? Und außerdem habe ich einen Smiley und mehrere Herzchen neben diese nett gemeinte Aufforderung gemalt.
Lara bleibt das gesamte Wochenende bei mir und guckt mit mir Liebesschnulzen. Wir essen Pizza und Eis und reden immer und immer wieder über das eine Thema: »Wie nur, wie kann es möglich sein, dass ein Mann wie Jan ganz plötzlich schwul wird?« Und: »Liegt es an mir?«
»Nein, liegt es nicht. Du bist eine ganz, ganz tolle Frau«, wiederholt Lara wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. Aber mein Selbstvertrauen ist erschüttert. Neben ihrer Funktion als Seelentrösterin spielt Lara Sekretärin, nimmt meine Anrufe entgegen, macht Termine ab. Nächste Woche wage ich mich zu meiner Therapeutin. Vorher bin ich nicht im Stande, den Tatsachen allzu direkt ins Auge zu sehen. Da klingelt schon wieder das Telefon.
»Lara Hesse am Apparat von Helen Ramien. Hallo? Was? Oh, ja, hallo.« Sie dämpft ihre Stimme. »Was willst du denn?« Sofort schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. Und ich weiß, es ist Jan.
»Ist das Jan?«, frage ich mit schriller Stimme. Sie hält die Hand über die Telefonmuschel und nickt.
»Ja. Was soll ich ihm sagen?«
»Frag ihn, ob er jetzt genug vom Schwulsein hat, weil ihm der Arsch wehtut«, sage ich ohne Nachzudenken. Lara starrt mich mit großen Augen an und ich sehe ebenso erschrocken zurück. Ich frage mich echt, wo solche Sachen herkommen. Ich drücke mich gewöhnlich wirklich sehr gewählt aus. Ehrenwort! Ich nicke dennoch bekräftigend und Lara spricht in den Hörer:
»Jan, ich, äh, soll dich fragen, ob du jetzt, äh, genug von … Männern hast«, sie wird knallrot im Gesicht. Schon gut. Ich reiße ihr den Hörer aus der Hand:
»Was willst du, Jan? Ich habe gesagt, dass ich dich nie wieder sehen will.«
»Ich weiß, Helen. Es tut mir Leid. Ich muss mit dir reden.« Mit mir reden? Plötzlich klopft mein Herz wie verrückt. Er muss mit mir reden. Wenn man in einer Beziehung steckt und der Partner so etwas sagt, dann steckt man übel in der Klemme. Dann kann dieser Satz nämlich nur zwei Sachen bedeuten: Entweder dass der andere fremdgegangen ist oder dass er einen verlassen will. Wenn man aber schon getrennt ist und er will dann reden, dann ist das eigentlich ein gutes Zeichen. Oder?
»Wo bist du denn?«, frage ich so ruhig wie möglich.
»Ich sitze unten in meinem Wagen. Vor unserem Haus.« Unser Haus. »Schon seit heute Morgen um zehn.« Jetzt ist es fast neun Uhr abends. So lange schon.
»Okay, komm rauf.« Ich unterbreche die Verbindung und lächle Lara zaghaft an.
»Er kommt rauf.«
»Habe ich gehört.«
»Lara, ich glaub, er kommt zurück. Er sitzt seit Stunden unten in seinem Auto.« In diesem Moment fällt mein Blick auf meine Füße, die noch immer in den Flipflops stecken. Der rote Nagellack ist mittlerweile zu fünfzig Prozent abgeblättert. »Mist!«, rufe ich aus. »Lara, er darf mich nicht so sehen.« In diesem Moment klingelt es an der Tür. Ich springe auf wie von der Tarantel gestochen und eile ins Badezimmer. »Sag ihm …« Ja, was kann sie ihm sagen? »Sag ihm, ich sei gerade in der Badewanne gewesen und bräuchte noch ne Minute.«
»Okay.«
»Ach ja, und bring mir bitte was zum Anziehen aus meinem Kleiderschrank.« Damit verschwinde ich im Bad.
Ein Blick in den Spiegel sagt mir, dass ich noch
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