Venus allein zu Haus
wenn du dir eine Mitbewohnerin suchst?« Bloß das nicht. Meine erste und einzige WG-Erfahrung hat mich ein für alle Mal von solchen Ideen kuriert. Während meines dreimonatigen Praktikums bei L’Oréal in Paris musste
ich lernen, dass ein kurzes Treffen auf einen Kaffee nicht ausreicht, um beurteilen zu können, ob jemand als Mitbewohner geeignet ist. Sandrine war ein hübsches, gepflegtes Ding mit roter Lockenmähne, niedlichem Gesichtchen und unschuldigem Augenaufschlag. Leider von oben bis unten eine Mogelpackung, und das bezieht sich nicht nur auf ihre auf D-Körbchen aufgepumpten Brüste, die ich des Öfteren bewundern durfte, wenn sie nachts betrunken und splitterfasernackt durch die Wohnung torkelte. Man würde es nicht für möglich halten, was für einen Dreck eine so kleine Person machen kann (zusammen mit ihren wechselnden Liebhabern). Und das mir! Also, Mitbewohnerin – nie wieder!
»Ich hasse WGs! Das weißt du doch!«
»Ich mein ja nur.«
»Außerdem würde mich hier ja doch nur alles an Jan erinnern.« Dazu fällt Lara auch kein Gegenargument ein, und sie packt schweigend weiter. Oh, meine schönen Klamotten! Die werde ich alle in der neuen Wohnung (wo auch immer die sein mag) aufbügeln müssen. Na ja, wenn das mein größtes Problem wäre. Ist es aber nicht. Wie finde ich bloß ganz schnell eine erschwingliche Wohnung? Übergangsweise muss ich nämlich in das Haus meines Vaters und dessen zweiter Frau ziehen. Gegen das Haus hätte ich ja nichts, wer wohnt nicht gerne in einer Villa in Blankenese? Dummerweise gehören Papa und die platinblonde Schreckschraube Angela dazu.
»Es tut mir so Leid, dass du nicht bei uns wohnen kannst«, sagt Lara, als könnte sie meine Gedanken lesen.
»Nein, das macht wirklich nichts«, beruhige ich sie. Das wäre wirklich noch schöner. Lara und ihr zukünftiger Mann Manuel wohnen zu zweit in einer Vierzig-Quadratmeter-Wohnung, weil sie derzeit jeden Cent in seine
Videoproduktionsfirma stecken. Arm, aber idealistisch. Und vor allem glücklich miteinander. Beneidenswert!
»Willst du nicht doch noch ein paar Wochen hier bleiben, bis du was anderes gefunden hast?«
»Mit Jan unter einem Dach? Das ist doch wohl nicht dein Ernst?« Denn der will nach fünf Tagen Obdachlosigkeit wieder in die Wohnung zurück und das verstehe ich sogar. »Nein, ich habe ihm gesagt, dass ich morgen Nachmittag draußen bin, und das werde ich auch sein!«
Da war ich wohl doch etwas voreilig, muss ich nach durchgearbeiteter Nacht am nächsten Tag feststellen. Todmüde sitze ich mit Lara am Küchentisch und trinke ein Gesöff, das Tote aufwecken würde, während wir auf Manuel warten, der meine Sachen mit seinem Kleinlaster nach Blankenese transportieren wird. Bernds Vorschlag, doch lieber übergangsweise zu ihm in die WG zu ziehen, habe ich dankend abgelehnt. Schon bei dem Gedanken an diese Bude schüttelt es mich. Ich starre auf das weiße Blatt Papier vor mir und kaue auf einem Bleistift herum. Mit diesem Schreiben verabschiede ich mich endgültig von Jan. Und damit auch von dem Leben, das mir so genau vorgezeichnet schien. Unsere Hochzeit. Das Eheleben. Die vier Kinder, ein Junge (Ivan), die Zwillingsmädchen (Clara und Lina) und ein weiterer Junge (Luis). Einschulungen, Abschlussbälle, ein Haus am Meer, wir beide, alt und grau, auf der Veranda, mit vielen Enkelkindern um uns herum.
»Helen? Wo bist du mit deinen Gedanken«, weckt Lara mich aus meinen Tagträumen. Ich seufze tief.
»In einem Leben, das niemals sein wird«, sage ich düster. Das Weiß des Blattes vor mir wird immer greller. Ich setze die Miene des Bleistiftes auf das Papier und beginne zu schreiben. LIEBER JAN. Nein, das ist nicht gut.
Lieber Jan, wie das klingt. Außerdem ist er gar nicht lieb. Sondern böse. Ist doch wahr, das hätte er sich doch wirklich mal früher überlegen können. Also, ein neues Blatt. JAN, … Hmmm. Vielleicht erst mal die Fakten? ICH WERDE MORGEN EINEN NACHSENDEAUFTRAG BEI DER POST STELLEN. Schon wieder einen. Da war ich erst vor fünf Wochen. BRIEFE, DIE BIS DAHIN EINGEHEN, SCHICKE MIR BITTE AN DIE ADRESSE MEINES VATERS NACH. ICH WERDE MICH DARUM KÜMMERN, UNSERE HOCHZEITSGÄSTE AUSZULADEN. Hier schie ßen mir kurz die Tränen in die Augen. Schnell weiter. DIE MÖBEL LASSE ICH WIE BESPROCHEN HIER, BIS ICH EINE NEUE WOHNUNG GEFUNDEN HABE. WENN DAS DER FALL IST, WERDE ICH DICH BENACHRICH-TIGEN, WANN ICH DIE SACHEN ABHOLE UND DEN SCHLÜSSEL DANN IN DEN BRIEFKASTEN WERFEN. Ich halte
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