Venusbrüstchen: Roman (German Edition)
kaufen. Mit sehr praktischen Ratschlägen …«
»Welches Alter?«
»Ich bin vierzig.«
»Welches Alter haben die Kinder?« Die Verkäuferin verzog den Mund.
»Siebzehn, dreizehn und acht«, antwortete Judith hastig.
»Was wollen Sie da noch erziehen?«
»Tja … ich habe so gar keine Ahnung in Erziehungsfragen.«
»Wie haben Sie es denn bisher gemacht?«
Judith wurde rot. »Bisher hatte ich keine Kinder, verstehen Sie? Ich wurde Mutter über Nacht, sozusagen.«
»Mutter wird man meistens über Nacht«, meinte die Verkäuferin und schielte nach einem Kollegen, der beifällig lächelte.
»Sehen Sie«, erklärte Judith geduldig. »Ich wurde Pflegemutter. Ganz plötzlich. Und nun weiß ich nicht einmal, ob man heute noch Pausenbrote mitgibt, was eine Siebzehnjährige alles darf und was nicht, ob der Junge in einen Sportverein soll …« Sie zuckte hilflos die Achseln.
»Die Siebzehnjährige darf so ziemlich alles, wenn Sie mich fragen. Empfehlen Sie ihr auf jeden Fall einen guten Gynäkologen, damit die Pille immer im Haus ist. Pausenbrote streicht man dann, wenn man kein Geld mitgibt. Ich find’s zwar reichlich antiquiert, aber bitte. Und ob der Junge in einen Sportverein soll … mein Gott, wenn er will …«
»Nein, ich glaube eigentlich nicht, dass er will.«
»Dann lassen Sie’s.«
»Andererseits …«
»Sonst noch etwas?«
»Sie führen wirklich keine Fachliteratur?«
»Ich habe Fachliteratur. Aber eine andere Richtung. ›Die Lustbefriedigung des Säuglings beim Stillen‹, beispielsweise. Aber stillen werden Sie wohl nicht mehr. Oder: ›Analphabetismus an unseren Schülen‹. Wird viel gekauft. Oder etwas über den Urschrei. Oder …«
»Danke«, sagte Judith spitz. »Analphabeten sind sie nicht, auch wenn ich gewisse Verkäuferinnen wohl dazu verleite, es anzunehmen. Und bewussten Urschrei stoße ich gleich aus, weil gewisse Verkäuferinnen mich dazu verleiten.«
Am Abend wanderte sie zum Wäldchen. Claudia und Steffi hatten sich auf ihre Zimmer zurückgezogen, Oliver lag, als sie Schlüssel und Jacke nahm, auf der Couch und las.
›Zum Nonnenhölzl‹ stand auf einer morschen, verwitterten Tafel, und Judith lächelte. Ob es stimmte, dass sich hier vor vielen, vielen Jahren eine kleine unglückliche Nonne, verliebt in den stolzen Fürsten, das Leben nahm, um fürderhin, wenn Herbstwind und Regen durch die Blätter peitschten, lebhaft zu spuken und die Leute zu erschrecken? Nun, heute peitschten weder Wind noch Regen. Heute zirpten die Grillen, und die kleine Nonne konnte beruhigt schlafen.
Judith setzte sich auf eine Bank. Wie vertraut ihr alles war! Hier hatte sie bereits als Kind gespielt, hier hatte Benedikt, ein Junge aus der Nachbarschaft, sie zum ersten Mal geküsst, hierher war sie gelaufen, als Thomas nach Australien ging und sie nicht aufforderte mitzukommen. Und hierher kam sie noch heute, wenn sie unglücklich war und nachdenken wollte. Und sie wollte nachdenken und war unglücklich. Das Eisessen in der Innenstadt hatten sie ziemlich lustlos hinter sich gebracht, das Abendessen auf der Terrasse schweigsam, und, zur Krönung dieses verkorksten Tages, war auch noch Margareths wertvolles Armband verschwunden.
»Ich weiß, ich habe es im Bad abgelegt«, jammerte Judith. »Und jetzt ist es weg.«
Claudia hatte sie eindringlich gemustert und die Schultern gezuckt. »Frag Steffi«, meinte sie.
»Steffi?«
»Wusstest du nicht, dass sie klaut?«
»Was macht sie?«
»Sie klaut. Ein Bilderbuchfall für einen Psycho-Fritzen, wenn du mich fragst. Ein armes Waisenkind, das zur diebischen Elster wird.«
»Aha. Hast du sonst noch irgendwelche auf bauenden Neuigkeiten für mich?«
»Aber ja. Oliver hat eine Katze mitgebracht. Meines Erachtens ist sie trächtig. Sie wurde wohl ausgesetzt.«
»Eine Katze? Aber wir haben doch schon all die Hamster. Und Lillis Cäsar trifft der Schlag, wenn ihn plötzlich eine Katze beschleicht und zum Sprung ansetzt.«
»Würde diesem grässlichen Vieh gar nicht schaden.«
»Deine Großmutter aber liebt Papageien. Sie hängt an Cäsar.«
»Tja. Wie das Leben so spielt. Was machen wir nun mit all den Jungen, die die Katze wirft? Wir könnten sie ertränken. Soll aber eine scheußliche Sache sein.«
»Wir geben die Katze weg, bevor die Jungen kommen.«
»Das ist aber schlecht für Oliver. Er ist so zart besaitet. Vielleicht fängt er dann auch noch an zu klauen. Oder wird mondsüchtig. Ein kleiner Junge im Schlafanzug, der über Münchens Dächer
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