Venusbrüstchen: Roman (German Edition)
alle schliefen. Fast alle.
»Bist du noch wach?«, fragte Steffi. Sie saß auf der Bettcouch im Gästezimmer von Anna und Konrad und starrte auf Claudia, deren blonde Locken auf dem weißen Kissen lagen und die sehr jung und verführerisch wirkte.
»Nein. Ich denke nach.«
»München?«
»Ja.«
»Magst du Judith?«
»Na ja. Sie ist ganz nett. Aber furchtbar spießig. Wenn man bedenkt, dass sie sogar zwei Jahre jünger ist, wie Mutter war …«
»Und der Typ erst, den sie da kannte. Dieser Hubert. Meinst du, die heiraten, die beiden?«
Claudia richtete sich auf. »Nur über meine Leiche, das sag’ ich dir. Der ist ja schlimmer als unser Mathe-Lehrer. Bevor der einen Witz macht, bringt er sich lieber um.«
»Aber ich glaube doch, dass er sie heiratet. So alt wie der ist, kriegt der doch keine andere mehr.«
»Da muss sie uns jetzt eigentlich fragen, ob wir einverstanden sind.«
»Glaube ich nicht, dass sie das muss. Es ist besser, wir lassen uns etwas einfallen.«
»Wir ekeln ihn raus. Ganz einfach.«
»Oder wir möbeln Judith ein bisschen auf. Dann findet sie vielleicht noch einen Jüngeren und muss nicht diesen Grufti an Land ziehen. Wenn einer schon Hubert heißt und Regierungsrat ist. Also wirklich! Mit dem muss man sich ja überall schämen.«
»Und seine Hosen hatten so messerscharfe Bügelfalten, als wolle er damit gleich zum Angriff übergehen.« Claudia kicherte.
»Du könntest ihn ja mal ein bisschen verführen. Judith will bestimmt keinen entjungferten Regierungsrat, spießig wie sie ist.«
»Nein, danke, mir ist schon schlecht. Lieber geh ich ins Kloster.«
»Okay, dann nicht. Dann ekeln wir. Ich hab’ ‘ne Idee … wir setzen Olivers Goldhamster auf seine Bügelfalten an. Das macht ihn fertig, ich schwör’s dir.« Nun kicherte auch Steffi.
Judith schlief den Schlaf des Gerechten, nicht ahnend, dass der einzige Mann, der sich in den letzten Jahren für sie interessiert hatte, vergrault werden sollte. Im Gegenteil, sie sah sich im Traum inmitten einer Schar Kinder stehen, mit einem alten Trenchcoat, den Bräutigam herbeisehnend.
»Wo ist er?«, fragte der Pfarrer streng.
»Er kommt noch«, antwortete Judith. »Ganz bestimmt.« Sie wartete zehnzehntel Sekunden, den ganzen langen Traum hindurch. Aber er kam nicht. Leider.
2. KAPITEL
»Seht euch heute noch mal gründlich um«, sagte Judith eine Woche später übermütig zu Lilli und Hubert, »In ein paar Tagen herrscht hier nämlich Tohuwabohu. Herr Petersen will mir beim Möbelverrücken helfen, Herr Möllemann steht schon mit Pinsel und Farbeimer bereit, und seine Frau hat mir Gardinen für Olivers Zimmer versprochen.«
Sie legte Lilli ein Stück Erdbeertorte auf den Teller und versuchte, Huberts Leichenbittermiene zu ignorieren. Denn fürwahr, der Gesichtsausdruck eines Mannes, der sie mit drei Kindern und einer exzentrischen Mutter einfach sitzenließ, würde ihr in Zukunft sowieso herzlich egal sein.
»Die Frau des Malers schenkt dir Gardinen?«, sagte Lilli verächtlich. Sie trug, da man auf der kleinen Terrasse saß, ein leichtes Sommerkleid, führte die Tasse anmutig zum Mund, die Beine übereinandergeschlagen und das Gesicht dezent geschminkt. Kurzum, sie befand sich ganz in Erwartung eines sonntäglichen Flirts mit Nachbar Petersen, der in seinem Garten Unkraut jätete und anbetend zu ihr herüberschmachtete.
»Warum sollte mir die Frau des Malers keine Gardinen schenken? Die beiden sind sehr viel wohlhabender als ich. Ihnen gehört das größte Haus hier im Umkreis.«
»Verrückte Welt …«, murmelte Lilli, deren ausgeprägter Standesdünkel in keinerlei Verhältnis zu ihrer Herkunft und ihrem Einkommen stand und die im tiefsten Innern ihres Herzens die Menschen immer noch einteilte nach Ober- und Unterschicht, Herrschaft und Gesinde, Elite und normal Sterbliche. Handwerker hatten brave, ehrliche Menschen zu sein, die in sauberen, einfachen kleinen Wohnungen hausten und die offensichtlich gottgewollte Ordnung, gehütet von klugen Politikern, geduldig akzeptierten. Sie hatten unter keinen Umständen Gardinen zu verschenken an Leute, deren Wände sie bepinselten.
»Ein Wort, und ich hätte dir das Geld vorgestreckt.«
»Ich will nicht auf Pump leben. Ich muss lernen, mit dem, was mir zur Verfügung steht, auszukommen.«
»Aber Gardinen vom Maler …«
»Mutter! Nun sei nicht so verdammt hochnäsig. Auch dein Mann war Handwerker.«
»Er hatte eine kleine Fabrik.«
»Er war Schreiner. Ein wunderbarer Beruf, wenn du
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