Venusbrüstchen: Roman (German Edition)
Wenn du sie mit der nötigen Strenge behandelst …«
»Mit der nötigen Strenge?«, wiederholte Judith gedehnt. »Ich weiß nicht. Ich glaube, in erster Linie wird wichtig sein, dass sie wieder ein Zuhause bekommen und spüren, dass man sie mag.«
»Na. Du hast wohl zu viele gefühlvolle Romane gelesen in den letzten Wochen. Die heutige Jugend ist cool und clever. Deine Schützlinge werden nicht so viel übrig haben für deine spät entdeckte Mütterlichkeit.«
»Du redest, als seien sie kleine Monster.«
Er schwieg. »Spielen wir noch eine Partie?«
»Nun sei mal ehrlich, Hubert. Freust du dich kein bisschen, dass unser beider Leben sich ändert und frischer Wind durchs Haus weht?«
»Mein Leben wird sich nicht ändern. Spielen wir nun noch eine Partie oder nicht?«
»Oder nicht«, sagte Judith.
»Willst du fernsehen?«
»Nein, ich will nicht fernsehen.«
»Möchtest du gerne alleine sein?«
»Das bin ich doch schon«, sagte sie. Ein kühler Windstoß drang durch die geöffnete Terrassentür, und sie erschauderte vor Kälte und Traurigkeit.
Konrad und Anna Dehler lagen zu dieser Zeit bereits im Bett. Doch Anna fand keinen Schlaf. »Das Haus wird richtig leer sein ohne die Rasselbande«, meinte sie. »Und Oliver wird mir fehlen. Er ist sehr lieb. Findest du nicht?«
Konrad brummelte Unverständliches.
»Ja, wirklich, ein lieber Junge. Hoffentlich fühlt er sich wohl in München. Er hatte sich hier schon so gut eingelebt … Und im Laden hat er die letzte Zeit auch so nett geholfen«, schob sie vorsichtig nach. Sie drehte sich ein wenig ächzend zur Seite. »Hörst du mir überhaupt zu?«
Doch Konrad hörte nicht zu. Er schlief bereits. Oder tat zumindest so, als schliefe er.
Am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Judith starrte aus dem Fenster. Ein paar Spatzen saßen, zerzaust und verfroren, im alten Kirschbaum, die Rosen hatten über Nacht fast alle Blätter verloren, und Olivers neue Schaukel hing traurig und tropfnass zwischen den Holunderbüschen.
Das war ungerecht. Nun wurde nichts aus ihrem schönen Grillfest, zu dem sie auch ein paar Nachbarn einladen wollte. Auch das Eis und die Pfirsichbowle konnte sie jetzt vergessen. Sie hob fröstelnd die Schultern und betrachtete das Foto der Kinder, das in der Wohnzimmervitrine stand und auf dem alle drei lächelten: Claudia, blond und schlank, mit schmalem Gesicht und leuchtend blauen Augen, Steffi, stupsnasig, sommersprossig, mit kühlem, distanziertem Blick und Oliver, der trotz seines Lächelns ernst wirkte und dessen dunkle Brille ihm das Aussehen eines kleinen, besorgten Professors verlieh. Oh, Margareth, dachte Judith. Wenn ich es nur schaffe …
Als ein paar Stunden später Konrads großes Lieferauto vorfuhr, klopfte ihr Herz bis zum Hals.
»Sie kommen«, rief sie Hubert zu und lief hinaus in den Regen. Sie patschte lachend in eine Pfütze, die Bluse rutschte aus dem Rockbund, sie umarmte ihren Onkel und die Kinder, schleppte Koffer ins Haus und atmete dann tief durch.
»Puh«, sagte sie ein wenig gekünstelt. »Was für scheußliches Wetter. Kommt nur herein in die gute Stube.«
Claudia und Steffi kräuselten die Lippen. Dann redeten alle gleichzeitig.
»Wo kann ich meine Goldhamster hinstellen? Sie sind noch im Auto.«
»Du hast Hamster? Wie reizend.«
»Ja. Prinz Eisenherz, Robin Hood, die drei Musketiere …«
»Mensch, öde uns nicht schon wieder an mit deinen blöden Viechern. Und wie die stinken!«
»Kinder …«
»Wo ist das Badezimmer?«
»Im ersten Stock.«
»Du meinst diese Nasszelle? Ist fast wie in einem Asylantenwohnheim.«
»Wieso hat Claudia ein so großes Zimmer? Sie liegt doch sowieso nur im Bett. Ich aber …«
»Hallo, Kellerassel. Deine Gemächer sind unten, wie ich gesehen habe.«
»Sind Sie nicht der Regierungsrat, der auch bei der Beerdigung war?«
»Ja, ich …«
»Haben Sie was mit der Judith? Dann gleich heraus mit der Sprache. Ich platze nämlich nicht gern in irgendwelche Zimmer, in denen irgendwelche Männer in irgendwelchen Betten liegen.«
»Guck, Tante Judith, der Hamster mit den schwarzen Pfoten ist Rasputin.«
»Mensch, Kellerassel. Stell die dussligen Käfige woanders hin. Rasputin ist übrigens ein Sexmonster. Er denkt an nichts anderes.«
»Meine armen, armen Schäfchen!« Lilli, deren Freundin Lydia termingerecht gesundet war und die bisher hinter der Gardine ihres Wohnzimmers gestanden und auf eine günstige Gelegenheit gewartet hatte, trat ein. Sie breitete die Arme aus, ihr
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