Verblendung
Verbindung gebracht hätte. Das klingt völlig unplausibel.«
Lisbeth Salander schob den Stuhl zurück und holte die Kaffeekanne vom Herd. Sie steckte sich eine Zigarette an und blies den Rauch in alle Richtungen. Mikael fluchte innerlich und stibitzte sich noch eine Zigarette von ihr.
»Nein, das ist gar nicht mal so unplausibel«, sagte sie und hob einen Finger. »Im 20. Jahrhundert haben wir in Schweden mehrere Dutzend unaufgeklärte Frauenmorde. Dieser Kriminologie-Professor namens Persson hat in der Fernsehserie Gesucht darauf hingewiesen, dass Serienmörder in Schweden furchtbar selten sind, dass es aber sicher einige gegeben hat, die einfach nie überführt wurden.«
Mikael nickte. Sie hielt einen weiteren Finger in die Höhe.
»Diese Morde sind über einen sehr langen Zeitraum hinweg verübt worden, und an weit auseinanderliegenden Orten im Land. Zwei von den Morden wurden kurz hintereinander begangen, aber die Umstände sahen sich nicht sonderlich ähnlich - eine Bäuerin in Karlstad und eine zweiundzwanzigjährige Pferdenärrin in Stockholm.«
Dritter Finger.
»Es gibt kein offensichtliches Muster. Die Morde geschahen auf unterschiedliche Art und Weise, der Täter hat also keine deutliche Handschrift hinterlassen, aber gewisse Dinge kehren bei allen Fällen wieder. Tiere. Feuer. Brutalste sexuelle Gewalt. Und - wie Sie schon sagten - eine Bibelparodie. Aber anscheinend hat noch kein Ermittler der Polizei einen dieser Morde von der Bibel her interpretiert.«
Mikael nickte. Er warf Lisbeth einen verstohlenen Blick zu. Mit ihrem dünnen Körper, dem schwarzen Hemd, dem Tattoo und den Piercingringen im Gesicht wirkte sie in einem Gästehäuschen in Hedeby, gelinde gesagt, fehl am Platze. Als er beim Abendessen versucht hatte, ein bisschen Konversation zu betreiben, war sie einsilbig gewesen und hatte auch nur knappe Antworten gegeben, wenn er sie direkt ansprach. Aber bei der Arbeit wirkte sie bis in die Fingerspitzen wie ein Profi. In ihrer Wohnung in Stockholm sah es so aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, doch Mikael nahm an, dass in ihrem Kopf die Dinge außergewöhnlich gut sortiert waren. Seltsam!
»Es ist schwer, den Zusammenhang zu erkennen zwischen einer Prostituierten aus Uddevalla, die auf einem Industriegelände erschlagen wurde, und einer Pfarrersfrau aus Ronneby, die man erwürgt und verbrannt hat - wenn man nicht zufällig den Schlüssel in der Hand hält, den Harriet uns gegeben hat«, fügte er hinzu.
»Was uns zur nächsten Frage führt«, sagte Lisbeth.
»Genau, wie zum Teufel ist Harriet hier hineingeraten? Ein sechzehnjähriges Mädchen aus einer behüteten Umgebung.«
»Es gibt nur eine Antwort«, sagte sie.
Mikael nickte abermals.
»Es muss eine Verbindung zur Familie Vanger geben.«
Bis elf Uhr abends hatten sie über mögliche Zusammenhänge und befremdliche Details sämtlicher Mordfälle diskutiert. Mikael dröhnte der Kopf. Er rieb sich die Augen, streckte sich und fragte, ob sie Lust auf einen Abendspaziergang hätte. Lisbeth sah so aus, als würde sie so etwas für reine Zeitverschwendung halten, nickte aber nach kurzer Bedenkzeit doch. Mikael riet ihr, wegen der Mücken eine lange Hose anzuziehen.
Sie gingen unter der Brücke hindurch, am Kleinboothafen vorbei und auf Martin Vangers Landzunge zu. Mikael zeigte auf die verschiedenen Häuser und erklärte ihr, wer wo wohnte. Er konnte seine Gedanken nur schwer formulieren, als er ihr Cecilias Haus zeigte. Lisbeth musterte ihn verstohlen aus dem Augenwinkel.
Als sie an Martin Vangers Motoryacht vorbeikamen und die Landzunge erreichten, setzten sie sich auf einen Stein und teilten sich eine Zigarette.
»Es gibt noch eine weitere Verbindung zwischen den Mordopfern«, sagte Mikael plötzlich. »Sie haben vielleicht schon daran gedacht.«
»Was?«
»Die Namen.«
Lisbeth überlegte kurz. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Es sind alles biblische Namen.«
»Stimmt nicht«, antwortete Lisbeth sofort. »Weder Liv noch Lena kommen in der Bibel vor.«
»Doch. Liv bedeutet Leben, das ist die biblische Bedeutung des Namens Eva. Und jetzt mal scharf nachgedacht - Lena ist eine Abkürzung von welchem Namen?«
Lisbeth kniff die Augen verärgert zusammen und fluchte innerlich. Mikael hatte schneller gedacht als sie. Das gefiel ihr gar nicht.
»Magdalena«, sagte sie.
»Die Hure, die erste Frau, die Jungfrau Maria … das Ganze ist so verrückt, dass vermutlich jedem Psychologen schwindelig würde. Aber ich hatte bei
Weitere Kostenlose Bücher