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den Namen eigentlich an etwas anderes gedacht.«
Lisbeth wartete geduldig ab.
»Es sind auch traditionelle jüdische Frauennamen. In der Familie Vanger gibt es überdurchschnittlich viele verrückte Judenhasser, Nazis und Verschwörungstheoretiker. Harald Vanger ist über neunzig Jahre alt und hatte seine große Zeit in den sechziger Jahren. Das einzige Mal, als ich ihn traf, zischte er mir zu, dass seine eigene Tochter eine Hure sei. Er hat ganz offensichtlich Probleme mit Frauen.«
Als sie wieder zu Mikaels Haus zurückkamen, strichen sie sich noch ein paar Brote und wärmten den Kaffee auf. Mikael schielte auf die zirka fünfhundert Seiten, die Armanskijs Lieblingsermittlerin erstellt hatte.
»Sie haben da in Rekordzeit eine phantastische Recherchearbeit hingelegt«, sagte er. »Danke. Und danke auch, dass Sie so nett waren, hierherzukommen, um Bericht zu erstatten.«
»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte Lisbeth.
»Ich werde mit Frode sprechen, dann erledigen wir das mit der Bezahlung.«
»Das hatte ich nicht gemeint.«
Mikael zog die Augenbrauen hoch.
»Tja … der Rechercheauftrag, für den ich Sie angeheuert hatte, ist hiermit erledigt«, sagte er vorsichtig.
»Ich bin mit dieser Sache aber noch nicht fertig.«
Als Mikael sich auf dem Küchensofa zurücklehnte, trafen sich ihre Blicke. Er konnte in ihren Augen überhaupt nichts lesen. Ein halbes Jahr hatte er alleine am Fall Harriet gearbeitet, und nun war da plötzlich ein anderer Mensch - eine erfahrene Ermittlerin -, die die Tragweite des Falles erkannte. Er fasste einen spontanen Entschluss.
»Ich weiß. Diese Geschichte geht mir auch unter die Haut. Ich rede morgen mit Frode. Wir werden Sie für eine weitere Woche anstellen … oder auch zwei. Als … hmm, als Recherche-Assistentin. Ich weiß nicht, ob er bereit ist, denselben Tarif wie an Armanskij zu zahlen, aber einen vernünftigen Monatslohn sollten wir wohl aus ihm herausholen können.«
Lisbeth bedachte ihn auf einmal mit einem unbeholfenen Lächeln. Bei diesem Fall wollte sie unbedingt bis zum Ende dabei sein - notfalls auch gratis.
»Ich schlaf jetzt gleich ein«, sagte sie, ging ohne ein weiteres Wort in ihr Zimmer und schloss die Tür.
Nach zwei Minuten öffnete sie die Tür noch einmal und streckte den Kopf hinaus.
»Ich glaube, Sie täuschen sich. Das ist kein verrückter Serienmörder, der zu viel in der Bibel gelesen hat. Das ist nur ein ganz gewöhnliches Arschloch, das Frauen hasst.«
21. Kapitel
Donnerstag, 3. Juli - Donnerstag, 10. Juli
Lisbeth Salander erwachte vor Mikael, um sechs Uhr morgens. Sie setzte Kaffee auf und stellte sich unter die Dusche. Als Mikael gegen acht Uhr wach wurde, saß sie vor seinem iBook und las seine Zusammenfassung des Falles Harriet Vanger. Er kam mit einem Laken um die Hüften in die Küche und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Auf dem Herd steht Kaffee«, sagte sie.
Mikael spähte ihr über die Schulter.
»Dieses Dokument war passwortgesichert«, sagte er.
Sie wandte den Kopf und blickte zu ihm hoch.
»Es dauert genau dreißig Sekunden, sich ein Programm aus dem Netz herunterzuladen, mit dem man solche Passwörter knacken kann«, sagte sie.
»Wir müssen noch mal ein Gespräch über persönliches Eigentum führen«, sagte Mikael und ging unter die Dusche.
Als er zurückkam, hatte Lisbeth seinen Computer ausgeschaltet und wieder an seinen Platz im Arbeitszimmer zurückgestellt. Sie hatte ihr eigenes PowerBook hochgefahren. Mikael war überzeugt, dass sie den Inhalt des Dokuments bereits auf ihren eigenen Computer übertragen hatte.
Lisbeth Salander war ein Informations-Junkie mit einer höchst liberalen Auffassung von Moral und Ethik. Mikael hatte sich gerade an den Frühstücktisch gesetzt, als es an der Haustür klopfte. Er stand auf und öffnete. Martin Vanger wirkte so verbissen, dass Mikael für einen Moment dachte, er sei gekommen, um die Nachricht von Henrik Vangers Tod zu überbringen.
»Nein, Henrik geht es genauso wie gestern. Ich komme in einer ganz anderen Angelegenheit. Kann ich kurz reinkommen?«
Mikael ließ ihn herein und stellte ihn der »Recherche-Assistentin« Lisbeth Salander vor. Sie bedachte den Großindustriellen nur mit einem halben Blick und einem kurzen Nicken, bevor sie sich wieder ihrem Computer zuwandte. Martin Vanger grüßte zerstreut und schien sie kaum wahrzunehmen. Mikael goss ihm eine Tasse Kaffee ein und bat ihn, Platz zu nehmen.
»Worum geht es denn?«
»Sie haben nicht
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