Verblendung
Redaktion ist in der Götgata, nur ein paar Blöcke von hier entfernt.«
»Ein linkes Blatt.«
»Kommt drauf an, wie man links definiert. Millennium geht wohl im Allgemeinen als gesellschaftskritisch durch, aber vermutlich betrachten die Anarchisten die Zeitschrift als spießiges Scheißblatt im Stile von Arena oder Ordfront . Und der rechtskonservative Studentenverband denkt höchstwahrscheinlich, dass sich die Redaktion aus Bolschewisten zusammensetzt. Nichts deutet darauf hin, dass Blomkvist irgendwann politisch aktiv gewesen wäre, nicht einmal während der linken Welle zu seiner Gymnasialzeit. Als er an der Hochschule für Journalisten studierte, wohnte er mit einem Mädchen zusammen, das damals bei den Gewerkschaftsanhängern aktiv war und heute für die Linkspartei im Reichstag sitzt. Es scheint mir ganz so, als hätte er sich seinen Stempel als Linker eher deswegen weggeholt, weil er sich als Wirtschaftsjournalist auf Enthüllungsreportagen über Korruption in der Businesswelt spezialisiert hat. Er hat vernichtende Artikel über den einen oder anderen Manager oder Politiker veröffentlicht, die sicher mehr als berechtigt waren, und hat einige Rücktritte und so manches juristische Nachspiel erzwungen. Am bekanntesten war die Aboga-Affäre, die damit endete, dass ein konservativer Politiker zurücktreten musste und ein ehemaliger Gemeindekämmerer zu einem Jahr Gefängnis wegen Veruntreuung von Gemeindegeldern verurteilt wurde. Aber Verbrechen anzuprangern kann man wohl kaum als Ausdruck von linker Gesinnung bezeichnen.«
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Was sonst noch?«
»Er hat zwei Bücher geschrieben. Eines über die Aboga-Affäre und eines über Wirtschaftsjournalismus mit dem Titel Die Tempelritter , das vor drei Jahren erschienen ist. Ich habe es nicht gelesen, aber den Rezensionen zufolge scheint es recht kontrovers gewesen zu sein. Es hat so einige Debatten in den Medien ausgelöst.«
»Wie steht es um seine Finanzen?«, fragte Frode.
»Er ist nicht reich, aber er nagt auch nicht am Hungertuch. Seine Steuererklärungen sind dem Bericht beigefügt. Er hat knapp 250 000 Kronen in Anleihen und Fonds angelegt. Sein Kontostand beträgt ungefähr 100 000 Kronen, damit deckt er seine laufenden Ausgaben, Reisen und Ähnliches. Er hat das Wohnrecht für seine Wohnung gekauft und fertig abbezahlt - 65 Quadratmeter in der Bellmansgata - und ist mit keinen Krediten oder Schulden belastet.«
Salander streckte einen Finger in die Luft.
»Er besitzt noch einen weiteren Vermögenswert - eine Immobilie auf der Schäreninsel Sandhamn. Eine Hütte, 30 Quadratmeter groß, als Ferienhäuschen eingerichtet und direkt am Wasser gelegen, an einem der attraktivsten Flecken von Sandhamn. Offensichtlich hat einer seiner Onkel die Immobilie in den vierziger Jahren erworben, als das für Normalsterbliche noch möglich war, und Blomkvist hat sie schließlich geerbt. Sie haben es so aufgeteilt, dass seine Schwester die Wohnung der Eltern in Lilla Essingen bekam und Mikael das Sommerhäuschen. Ich weiß nicht, was so was heute wert ist - sicher ein paar Millionen Kronen -, aber andererseits sieht es nicht so aus, als wollte er das Häuschen verkaufen. Er ist ziemlich oft in Sandhamn.«
»Was machen seine Einkünfte?«
»Er ist wie gesagt Miteigner von Millennium , bezieht aber nur ein Gehalt von knapp 12 000 Kronen im Monat. Den Rest erwirtschaftet er sich durch seine Arbeit als Freelancer, die Einkünfte schwanken. Vor drei Jahren erzielte er ein Spitzenergebnis, als er von diversen Medien Aufträge bekam und fast 450 000 Kronen einnahm. Voriges Jahr hat er mit seiner freien Arbeit nur 120 000 Kronen eingenommen.«
»Er muss 150 000 Kronen Schadenersatz bezahlen, außerdem das Honorar für seinen Anwalt etc.«, stellte Frode fest. »Wir können davon ausgehen, dass er insgesamt eine ziemlich hohe Summe aufbringen muss und außerdem Einkünfte einbüßt, während er seine Gefängnisstrafe absitzt.«
»Das bedeutet, dass er ziemlich abgebrannt aus dieser ganzen Geschichte rauskommt«, merkte Salander an.
»Halten Sie ihn für integer?«, fragte Dirch Frode.
»Seine Integrität ist sein Vertrauenskapital. Er hat das Image des unbestechlichen Wächters über die Moral der Geschäftswelt. Man lädt ihn ziemlich oft als Kommentator ins Fernsehen ein.«
»Von diesem Kapital ist nach dem heutigen Urteil wohl nicht mehr viel übrig«, sagte Frode nachdenklich.
»Ich kann nicht behaupten, dass ich wüsste, welche
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