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Titel: Verblendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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schlüpfte wieder in die dicken Socken und Stiefel und zog einen Extrapullover an. An der Tür hielt er inne - er hatte keine Hausschlüssel bekommen, und seine Stockholm-Instinkte schlugen Alarm bei dem Gedanken, man könne Haustüren unverschlossen lassen. Er ging zurück in die Küche und öffnete die Schubladen. Schließlich fand er die Schlüssel an einem Nagel in der Speisekammer.
    Die Temperatur war auf minus 17 Grad gefallen. Mikael überquerte schnell die Brücke und ging über den Hügel bei der Kirche. Der Supermarkt lag in bequemer Entfernung, ungefähr dreihundert Meter weiter. Er füllte zwei Papiertüten bis zum Rand mit den wichtigsten Artikeln, die er zuerst heimbrachte, bevor er nochmals die Brücke überquerte. Diesmal ging er in Susannes Brücken-Café. Die Frau hinter dem Tresen war in den Fünfzigern. Er fragte, ob sie Susanne sei, und stellte sich vor, indem er erklärte, dass er in Zukunft wohl Stammkunde in ihrem Café werden würde. Er war der einzige Gast, und Susanne gab ihm einen Kaffee aus, als er ein belegtes Brötchen bestellte und noch Brot und einen Hefezopf dazu kaufte. Er nahm sich einen Hedestads-Kurir aus dem Zeitungsständer und setzte sich an einen Tisch mit Aussicht auf die Brücke und die beleuchtete Kirche. In der Dunkelheit sah das Ganze aus wie eine Weihnachtskarte. Er brauchte ungefähr vier Minuten, um die Zeitung durchzulesen. Die einzig interessante Nachricht war ein kurzer Artikel, der davon handelte, dass ein Kommunalpolitiker namens Birger Vanger sich für IT TECH-CENT einsetzen wollte - ein Technisches Entwicklungszentrum in Hedestad. Er blieb noch eine halbe Stunde sitzen, bis das Café um sechs Uhr schloss.
     
    Abends um halb acht rief Mikael Erika an und bekam zu hören, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar sei. Er setzte sich aufs Küchensofa und versuchte einen Roman zu lesen, den der Klappentext als das sensationelle Debüt einer Feministin im Teenie-Alter bezeichnete. Der Roman handelte vom Versuch der Autorin, auf einer Reise nach Paris ihr Sexleben in Ordnung zu bringen, und Mikael fragte sich, ob man ihn wohl einen Feministen nennen würde, wenn er in gymnasialem Ton einen Roman über sein eigenes Sexleben schriebe. Vermutlich nicht. Mikael hatte das Buch vor allem gekauft, weil der Verlag sie als eine »neue Carina Rydberg« anpries. Er stellte bald fest, dass dies nicht den Tatsachen entsprach, weder in stilistischer noch in inhaltlicher Hinsicht. Er legte das Buch beiseite und las stattdessen eine Western-Novelle über Hopalong Cassidy in einer alten Zeitschrift aus den fünfziger Jahren.
    Alle halbe Stunde war ein einzelner kurzer, gedämpfter Ton von der Kirchenglocke zu hören. Die Fenster bei Hausmeister Gunnar Nilsson auf der anderen Straßenseite waren erleuchtet, aber Mikael konnte niemanden im Haus sehen. In Harald Vangers Haus war es dunkel. Gegen neun fuhr ein Auto über die Brücke und verschwand in Richtung Landzunge. Um Mitternacht wurde die Beleuchtung der Kirchenfassade ausgeschaltet. So sahen in Hedeby wohl unterm Strich die Vergnügungen an einem Freitagabend Anfang Januar aus. Es war erstaunlich still.
    Er unternahm einen neuen Versuch, Erika anzurufen. Diesmal war der Anrufbeantworter dran, und er wurde gebeten, eine Nachricht zu hinterlassen. Das tat er, dann machte er das Licht aus und legte sich schlafen. Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, dass unmittelbare Gefahr bestand, in Hedeby einen Koller zu bekommen.
     
    Es war seltsam, bei absoluter Stille zu erwachen. Mikael, der gerade noch tief geschlafen hatte, war innerhalb von Sekundenbruchteilen hellwach. Er blieb liegen und horchte. Im Zimmer war es kalt. Er drehte den Kopf und sah auf die Armbanduhr, die er auf einen Hocker neben dem Bett gelegt hatte. Es war acht Minuten nach sieben - er war noch nie ein Morgenmensch gewesen und wurde normalerweise nur schwer wach, wenn er nicht mindestens zwei Wecker stellte. Nun war er von selbst aufgewacht und fühlte sich obendrein auch noch ausgeruht.
    Er setzte Kaffee auf, bevor er sich unter die Dusche stellte und plötzlich das lustvolle Gefühl erlebte, sich selbst zu beobachten. Kalle Blomkvist - Forschungsreisender in der Wildnis.
    Bei der geringsten Berührung des Boilers wechselte die Wassertemperatur von brühheiß zu eiskalt. Auf dem Küchentisch lag keine Morgenzeitung. Die Butter war tiefgefroren. In der Besteckschublade lag kein Käsehobel. Draußen war es immer noch pechschwarz. Das Thermometer

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