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Verblendung

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Titel: Verblendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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Impulse ihre Gedanken lenkten. Eine Erklärung für ihr Interesse an Gott konnte freilich sein, dass ihr Vater zwei Jahre zuvor bei einem Unfall ertrunken war. Morell mutmaßte, dass in Harriets Leben irgendetwas geschehen sein musste, das sie bedrückte oder sonstwie beeinflusste. Ebenso wie Henrik Vanger hatte Morell viel Zeit darauf verwendet, mit Harriets Freunden zu sprechen, um jemand zu finden, dem sie sich vielleicht anvertraut hatte.
    Man setzte eine gewisse Hoffnung in die zwei Jahre ältere Anita Vanger, Haralds Tochter, die den Sommer 1969 auf der Hedeby-Insel verbracht und sich nach eigener Aussage intensiv mit Harriet angefreundet hatte. Aber auch Anita Vanger konnte keine richtigen Auskünfte geben. Sie waren den Sommer über viel zusammen gewesen, waren baden gegangen, hatten Spaziergänge unternommen und über Filme, Popbands und Bücher geredet. Harriet war oft mitgekommen, wenn Anita Übungsfahrten für ihren Führerschein machte. Einmal tranken sie sich einen kleinen Schwips mit einer Flasche Wein an, die sie aus den Vorräten im Haus gemopst hatten. Außerdem wohnten sie mehrere Wochen zusammen in »Gottfrieds Hütte«, einem entlegenen kleinen Häuschen, das Harriets Vater Anfang der fünfziger Jahre errichtet hatte.
    Die Fragen nach Harriets privaten Gedanken und Gefühlen blieben unbeantwortet. Mikael fiel jedoch eine Diskrepanz in den Beschreibungen auf: Die Angaben zu Harriets zurückgezogenen Wesen stammten zum Großteil von Mitschülern und Familienmitgliedern, während Anita Vanger sie überhaupt nicht als verschlossen empfunden hatte. Er wollte bei Gelegenheit mit Henrik Vanger darüber sprechen.
     
    Ein konkreteres Fragezeichen, dem Morell bedeutend mehr Interesse zugewandt hatte, war eine rätselhafte Seite in Harriets Kalender, einem schön eingebundenen Weihnachtsgeschenk, das sie im Jahr vor ihrem Verschwinden bekommen hatte. Die erste Hälfte des Kalenders enthielt einen Zeitplan, in dem Harriet jeden Tag Treffen, Prüfungstermine am Gymnasium, Hausaufgaben und anderes notiert hatte. Der Kalender ließ viel Platz für Tagebuchaufzeichnungen, allerdings führte Harriet nur sehr sporadisch Tagebuch. Sie begann im Januar noch recht ehrgeizig, mit kurzen Anmerkungen, wen sie in den Weihnachtsferien getroffen hatte, und mit Kommentaren zu Filmen, die sie gesehen hatte. Danach schrieb sie nichts Persönliches mehr auf. Nur eine kurze Notiz deutete darauf hin, dass ihr ein nicht namentlich genannter Junge auf der Schulabschlussfeier ganz gut gefallen hatte.
    Aber die Seiten mit den Telefonnummern enthielten das wahre Geheimnis. Säuberlich waren dort in alphabetischer Reihenfolge Familienmitglieder, Klassenkameraden, gewisse Lehrer, ein paar Mitglieder der Pfingstgemeinde und andere leicht zu identifizierende Personen ihrer Umgebung aufgeführt. Auf der allerletzten Seite, die ganz weiß war und eigentlich schon außerhalb des alphabetischen Registers lag, standen fünf Namen und ebenso viele Telefonnummern. Es waren drei Frauennamen und zwei Namen in Initialen.

    Die fünfstelligen Telefonnummern, die mit 32 anfingen, waren in den sechziger Jahren die Nummern in Hedestad. Die davon abweichende 30er-Nummer führte nach Norrby außerhalb von Hedestad. Allerdings wusste keiner, wer diese Personen waren, als Kommissar Morell in Harriets Bekanntenkreis nachfragte.
    Die erste Nummer, die von »Magda«, schien vielversprechend. Die Nummer gehörte zu einem Stoff- und Kurzwarengeschäft in der Parkgata 12. Der Anschluss war auf eine Margot Lundmark zugelassen, deren Mutter tatsächlich Magda hieß und stundenweise im Laden aushalf. Magda war jedoch neunundsechzig Jahre alt und hatte keine Ahnung, wer Harriet Vanger war. Es gab auch keinerlei Hinweise, dass Harriet jemals in diesem Geschäft gewesen wäre oder dort etwas gekauft hätte. Handarbeiten gehörte nicht zu ihren Freizeitbeschäftigungen.
    Die andere Nummer gehörte zu einer Familie Toresson in Väststan, auf der anderen Seite der Eisenbahnlinie. Die Familie bestand aus Anders und Monica sowie ihren Kindern Jonas und Peter, die im Vorschulalter waren. Eine Sara gab es nicht in der Familie, und man wusste nicht mehr über Harriet Vanger, als dass sie in den Massenmedien als vermisst gemeldet worden war. Die einzige vage Verbindung zwischen Harriet und den Toressons war, dass Anders, ein Dachdecker, im Jahr zuvor ein paar Wochen lang das Dach der Schule gedeckt hatte, in der Harriet die erste Gymnasialklasse besuchte. Es bestand also

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