Verborgene Macht
leid.«
Cassie nippte an ihrem Kaffee. Sie wollte nicht wütend sein. Nicht jetzt, nicht auf ihn. Seufzend stellte sie ihre Tasse ab und fuhr mit dem Finger über den Rand. »Was schätzt du, wie viel Zeit mir bleibt, bis ich mich entscheiden muss?«
»Einige Wochen. Vielleicht weniger.« Als ein Kellner vorbeikam, senkte Ranjit seine Stimme zu einem Flüstern. »Dein Hunger hat sich schneller entwickelt, als irgendjemand hätte vorausahnen können. Es ist unglaublich, Cassandra.« Mit so etwas wie Bewunderung fügte er hinzu: »Noch nie da gewesen!«
»Du klingst genau wie Sir Alric«, erwiderte Cassie. »Und das ist kein Kompliment. Er ist die einzige andere Person, die mich Cassandra nennt. Na ja, abgesehen von ...«
»Estelle«, beendete Ranjit ihren Satz. »Wäre es dir lieber, wenn ich dich Cassie nenne?«
»Weißt du was? Ich denke, das wäre mir tatsächlich lieber.«
»Dann werde ich es tun. Cassie.« Mit einem Lächeln legte er seine Hand auf ihre.
Verdammt, dachte sie. Das fühlt sich gut an. Und stark. Und hilfreich. Langsam fädelte sie ihre Finger zwischen seine.
»Du wolltest mich nie bei den Auserwählten haben, oder?«
»Nein. Ich wollte nicht, dass du mit irgendetwas von alledem zu tun bekommst.« Er lächelte kläglich. »Aber jetzt ist es zu spät.«
»Und ich hätte ohnehin damit zu tun bekommen«, sagte Cassie, der es plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel. »Auf die eine oder andere Weise. Es war Isabella, die eigentlich initiiert werden sollte, nicht wahr? Sie war die offenkundige Kandidatin. Also wäre ich ihre Lebensquelle geworden, oder?«
Ranjits Hand verkrampfte sich. Dann nickte er langsam und sah ihr forschend ins Gesicht. »Vielleicht. Aber ich hätte alles in meiner Macht Stehende getan, um auch das zu verhindern.«
Cassie runzelte die Stirn. Sie hätte dieses Szenario dem gegenwärtigen vorgezogen. Oder etwa nicht? Wenn Isabella tatsächlich den Auserwählten beigetreten wäre — wenn sie Cassie gebeten hätte, ihre Lebensquelle zu sein -, was hätte Cassie dann getan?
Sie wusste ganz genau, was sie getan hätte. Sie hätte sich geweigert. Wäre weggelaufen, so schnell sie konnte. Hätte alles zusammengeschrien und die Bullen gerufen.
Als habe er ihre Gedanken gelesen, sagte Ranjit: »Weißt du, du kannst dich auch von ihr nähren, ohne dass sie es mitkriegt. Obwohl sie weiß, was mit dir geschehen ist, gibt es Möglichkeiten, zu verhindern ...«
»Nein«, unterbrach sie ihn entschieden. »Ich werde meine beste Freundin nicht belügen. Sir Alric sagt, er würde uns beide unterrichten.« Leiser fügte sie hinzu: »Ich meine, falls sie einverstanden ist...«
»So ist es das Beste, Cassie. Du musst lernen, wie du dich gefahrlos nähren kannst. Wenn man es richtig macht, richtet man wirklich keinen Schaden an.«
Cassie schloss die Augen und stöhnte frustriert auf; dann drückte Ranjit ihr abermals die Hand. Er seufzte tief und versuchte zu lächeln.
»Hör mal, ich bin einfach froh, dass du hier bist und dass es dir gut geht.Wir werden das durchstehen... zusammen.« Er beugte sich vor, küsste sie sanft auf die Lippen und verharrte für einen Moment, bevor er sich wieder zurücklehnte. »Und wegen dieser Sache ...«, murmelte er und lehnte seine Stirn gegen Cassies.
»Ja?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
»Ich denke, es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn wir versuchen würden, es langsam anzugehen. Ich weiß nicht, was im Atrium passiert ist, aber ich hatte fast das Gefühl ... die Kontrolle zu verlieren.« Er sah Cassie vorsichtig an und sie nickte lächelnd.
»Mir kam es auch so vor. Nicht dass ich mich beschweren würde.«
»Ich auch nicht. Es ist nur so ... angesichts unserer Umstände und... vergangenen Erfahrungen möchte ich einfach nicht, dass irgendetwas schiefgeht. Wir sollten vorsichtig sein.«
Ranjit strich Cassie beruhigend über den Arm und trank dann den Rest seines Kaffees. Cassie schaute auf ihre eigene Tasse hinab, die sie kaum angerührt hatte. Bisher hatte sie kaum darüber nachgedacht, aber die Art, wie er frühere Erfahrungen gesagt hatte, und der Ausdruck auf seinem Gesicht, als sie davon gesprochen hatte, dass es ihr bestimmt gewesen wäre, Isabellas Lebensquelle zu sein, sprach Bände. Wie hatte sie das vergessen können?
Jessica.
Jakes Schwester war vor ihrem Tod mit Ranjit zusammen gewesen. Tatsächlich hatte sie sich in der Nacht, in der sie in den Tod gelockt worden war, mit ihm treffen sollen. Das Mädchen, dem Katerina
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