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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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den ganzen Tag daran zu denken!«
    Als Ssonja das sagte, rang sie in schmerzlicher Erinnerung die Hände.
    »Sie wollen grausam sein?«
    »Ja, ich, ich! Ich kam damals hin,« fuhr sie weinend fort, »und der Verstorbene sagte mir: ›Lies mir was vor, Ssonja, mein Kopf tut mir so weh ... hier ist ein Buch ...‹ Er hatte irgendein Buch von Andrej Ssemjonowitsch Lebesjatnikow; der wohnt hier und hat immer solch komische Bücher. Ich aber sagte: ›Ich muß gehen‹, und las ihm nichts vor; ich war aber hauptsächlich darum zu ihnen gekommen, um Katerina Iwanowna meine neuen Kragen zu zeigen; die Händlerin Lisaweta hatte mir Kragen und Manschetten zu billigem Preise gebracht, hübsche, ganz neue Sachen, mit einem Muster. Und Katerina Iwanowna gefielen sie sehr gut: sie legte einen an, besah sich im Spiegel, und er gefiel ihr sehr, sehr gut. ›Schenk mir so einen Kragen, Ssonja,‹ sagte sie, ›bitte!‹ Sie sagte sogar ›bitte‹ – so gut gefiel er ihr. Wann soll sie aber solche Kragen tragen? Sie erinnerte sich eben der alten, glücklichen Zeiten. Sie besieht sich im Spiegel und freut sich; sie hat aber gar keine Kleider, gar keine Sachen, so viele Jahre schon! Niemals bittet sie aber jemand um etwas; so stolz ist sie, eher gibt sie selbst ihr Letztes weg, aber diesmal bat sie mich: so sehr gefiel ihr der Kragen! Mir aber tat es leid, ihr den Kragen zu schenken. ›Was brauchen Sie ihn, Katerina Iwanowna?‹ Wörtlich so sagte ich ihr: ›Was brauchen Sie ihn?‹ Das hätte ich nicht sagen sollen! Sie sah mich so an und wurde so traurig, weil ich es ihr abgeschlagen hatte, und es war so ein Jammer, sie anzusehen ... ... Nicht des Kragens wegen war sie so traurig, sondern weil ich ihn ihr abgeschlagen hatte, das sah ich. Ach, wenn ich das alles ändern, wenn ich meine Worte zurücknehmen könnte ... Ach, ich ... Aber was soll ich davon sprechen? Ihnen ist es doch gleichgültig!«
    »Haben Sie die Händlerin Lisaweta gekannt?«
    »Ja ... Haben Sie sie denn auch gekannt?« fragte Ssonja mit einigem Erstaunen.
    »Katerina Iwanowna hat die Schwindsucht, es steht sehr schlimm um sie, sie wird bald sterben«, sagte Raskolnikow nach einem Schweigen, ohne ihre Frage beantwortet zu haben.
    »Ach, nein, nein, nein!«
    Und Ssonja ergriff mit unbewußter Gebärde seine beiden Hände, als flehte sie ihn an, daß es nicht so schlimm sei.
    »Es ist doch besser, wenn sie stirbt.«
    »Nein, es ist nicht besser, nicht besser, gar nicht besser!« wiederholte sie erschrocken, halb unbewußt.
    »Und die Kinder? Wo wollen Sie denn die hintun, wenn nicht zu sich nehmen?«
    »Ach, ich weiß es nicht!« rief Ssonja fast in Verzweiflung und griff sich an den Kopf.
    Es war ihr anzusehen, daß dieser Gedanke ihr schon oft gekommen war und daß er ihn in ihr wieder aufgewühlt hatte.
    »Nun, und wenn Sie noch bei Katerina Iwanownas Lebzeiten krank werden und ins Krankenhaus kommen, was wird dann sein?« drang er erbarmungslos in sie ein.
    »Ach was sagen Sie, was sagen Sie! Das kann nicht sein! ...«
    Und Ssonjas Gesicht verzerrte sich vor furchtbarem Schrecken.
    »Warum kann es nicht sein?« fuhr Raskolnikow mit trockenem Lächeln fort. »Sie sind doch nicht gefeit! Was wird dann mit ihnen geschehen? Sie werden alle zusammen auf die Straße gehen, sie wird husten und betteln und irgendwo mit dem Kopf an eine Mauer schlagen, wie heute, und die Kinder werden weinen ... Dann wird sie umfallen, man wird sie aufs Revier und dann ins Krankenhaus schaffen, sie wird sterben, und die Kinder ...«
    »Ach, nein! ... Gott wird es nicht zulassen!« entrang es sich plötzlich der zusammengepreßten Brust Ssonjas.
    Sie hörte zu, sah ihn dabei flehend an und faltete in stummem Gebet die Hände, als hinge alles von ihm ab.
    Raskolnikow stand auf und begann auf und ab zu gehen. Es verging eine Minute. Ssonja stand mit gesenktem Kopf und herabhängenden Armen, in schrecklichem Grame da.
    »Kann man denn nicht sparen? Etwas auf die Seite tun, um es in der Not zu haben?« fragte er, plötzlich vor ihr stehenbleibend.
    »Nein«, flüsterte Ssonja.
    »Natürlich, nein! Haben Sie es schon versucht?« fügte er beinahe spöttisch hinzu.
    »Ich habe es versucht.«
    »Und es gelang Ihnen nicht! Na, natürlich! Was ist da noch zu fragen?«
    Und er ging wieder durchs Zimmer. Es verstrich noch eine Minute.
    »Sie nehmen wohl nicht jeden Tag was ein?«
    Ssonja wurde noch mehr verlegen, und ihr Gesicht rötete sich wieder.
    »Nein«, flüsterte sie mit schmerzlicher

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