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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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allen diesen Reden konnte man einiges verstehen: daß es ein verhaßtes Kind sei, das von seiner Mutter, einer ewig betrunkenen Köchin, wahrscheinlich im Gasthause selbst, durch fortwährende Schläge ganz eingeschüchtert worden; daß das Kind eine Tasse dieses Mamachens zerschlagen habe und so erschrocken wäre, daß sie schon am Abend weggelaufen sei; wahrscheinlich hatte sie sich lange auf dem Hof im Regen verborgengehalten, sich dann ins Haus eingeschlichen, sich hinter den Schrank versteckt und hier in der Ecke die ganze Nacht weinend und zitternd vor Nässe, Dunkelheit und Angst, daß man sie schlagen würde, gesessen. Er nahm sie auf die Arme, ging in sein Zimmer, setzte sie aufs Bett und begann sie auszukleiden. Ihre durchlöcherten Schuhe, unter denen sie keine Strümpfe hatte, waren so durchnäßt, als hätten sie die ganze Nacht in einer Pfütze gelegen. Nachdem er sie entkleidet hatte, legte er sie ins Bett und hüllte sie bis zum Kopf in die Decke. Sie schlief sofort ein. Nachdem er mit alledem fertig war, versank er wieder in düsteres Brüten.
    »Was mußte ich mich mit ihr einlassen!« sagte er sich plötzlich mit einem schweren und gehässigen Gefühl. »Was für Unsinn!« Argerlich nahm er die Kerze, um hinauszugehen, um jeden Preis den abgerissenen Kerl zu finden und so schnell als möglich von hier wegzukommen. »Ach, das Mädel!« dachte er fluchend, als er schon die Tür öffnete, kam aber noch einmal zurück, um nach dem Kinde zu sehen, ob es schon schlafe und wie es schlafe. Er lüftete vorsichtig die Decke. Das Mädchen schlief fest und selig. Sie war unter der Decke warm geworden, und ihre blassen Wangen hatten sich gerötet. Aber seltsam: Dieses Rot war greller und leuchtender als sonst das Rot auf kindlichen Wangen. »Das ist fieberhafte Röte«, sagte sich Swidrigailow; »es ist, wie wenn man ihr ein ganzes Glas Wein zu trinken gegeben hätte. Die roten Lippen brennen und glühen, aber was ist das?« Ihm schien es plötzlich, als ob ihre langen schwarzen Wimpern zuckten und blinzelten, als ob sie sich höben und unter ihnen ein schelmisches, scharfes, gar nicht kindlich blinzelndes Auge hervorblickte, als ob das Mädchen gar nicht schliefe und sich nur verstellte. Ja, so ist es: Ihre Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, die Mundwinkel zucken, als ob sie ein Lachen zurückhalten wollten. Nun hält sie sich nicht mehr zurück: Es ist ein Lachen, ein ausgesprochenes Lachen; etwas Freches und Herausforderndes leuchtet in diesem gar nicht kindlichen Gesicht; das ist das Laster, das ist das Gesicht einer Kokette, das freche Gesicht einer feilen französischen Dirne. Schon öffnen sich ganz unverhohlen beide Augen: Sie mustern ihn mit einem glühenden, schamlosen Blick, sie locken ihn, sie lachen ... Etwas unendlich Häßliches und Beleidigendes lag in diesem Lachen, in diesen Augen, in diesem ganzen gemeinen Kindergesicht. »Wie! Eine Fünfjährige!« flüsterte Swidrigailow mit tiefem Entsetzen. »Ja ... was ist denn das?« Nun wendet sie sich ihm mit ihrem glühenden Gesichtchen ganz zu, streckt die Arme aus ... »Ah, Verfluchte!« schrie Swidrigailow entsetzt, mit der Hand zum Schlage ausholend. Aber im selben Augenblick erwachte er.
    Er liegt im gleichen Bette, wie früher in die Decke gehüllt, die Kerze ist nicht angezündet, und durch das Fenster leuchtet weiß der Morgen herein.
    »Ein Alpdrücken die ganze Nacht!« Er stand zornig auf und fühlte sich ganz zerschlagen; alle Knochen schmerzten ihm. Draußen war ein dichter Nebel, und man konnte nichts unterscheiden. Bald fünf Uhr: Er hatte sich verschlafen! Er stand auf und zog Weste und Mantel an, die noch feucht waren. Er fühlte in der Tasche den Revolver, nahm ihn heraus und brachte das Zündhütchen in Ordnung; dann setzte er sich, nahm aus der Tasche sein Notizbuch und schrieb auf das Titelblatt, an auffallender Stelle mit großer Schrift einige Zeilen. Er las sie durch, stützte sich auf den Tisch und dachte eine Weile nach. Der Revolver und das Notizbuch lagen gleich neben seinem Ellenbogen. Die erwachten Fliegen klebten auf der Portion Kalbfleisch herum, die er nicht angerührt hatte und die immer noch hier auf dem Tische stand. Er sah sie lange an und versuchte endlich mit der freien rechten Hand nach einer Fliege zu haschen. Lange bemühte er sich, konnte sie aber unmöglich fangen. Endlich ertappte er sich bei dieser interessanten Beschäftigung, fuhr zusammen, stand auf und ging entschlossen aus dem Zimmer. Nach

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