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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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einer Minute war er schon auf der Straße.
    Ein milchweißer dichter Nebel lag über der Stadt. Swidrigailow ging auf dem schlüpfrigen, schmutzigen Holzpflaster in der Richtung zu der Kleinen Newa. Er malte sich das während der Nacht hochgestiegene Wasser der Kleinen Newa aus, die Petrowskij-Insel, nasse Wege, nasses Gras, nasse Bäume und Sträucher und endlich jenen bewußten Strauch ... Um an etwas anderes zu denken, begann er voll Ärger die Häuser zu mustern. Weder einen Menschen noch eine Droschke traf er auf dem Prospekt. Traurig und schmutzig sahen die grellgelben hölzernen Häuschen mit den geschlossenen Läden aus. Kälte und Nässe drangen ihm durch Mark und Bein, und ihn begann zu frösteln. Hier und da stieß er auf Schilder von Kauf-und Gemüseläden und las jedes aufmerksam. Schon war das Holzpflaster zu Ende. Er erreichte ein großes steinernes Gebäude. Ein schmutziger durchfrorener kleiner Hund mit eingezogenem Schwanz lief ihm über den Weg. Ein vollkommen betrunkener Mensch in einem Uniformmantel lag mit dem Gesicht nach unten quer über das Trottoir. Er sah ihn an und ging weiter. Ein hoher Feuerwehrturm tauchte links von ihm auf.
    »Bah!« sagte er sich. »Das ist die beste Stelle, was brauche ich den Petrowskij-Park? Hier ist wenigstens ein offizieller Zeuge dabei ...«
    Bei diesem neuen Gedanken mußte er beinahe lächeln. Er bog in die ***sche Straße ein; hier ragte ein großes Haus mit einem Turm. Vor dem verschlossenen mächtigen Tore des Hauses stand, mit der Schulter daran gelehnt, ein kleines Männchen in einem grauen Soldatenmantel, mit einem messingenen Achilleshelm auf dem Kopfe. Mit verschlafenen Augen schielte er kühl den herantretenden Swidrigailow an. Sein Gesicht drückte jenen ewigen, verdrießlichen Gram aus, der sich so unangenehm ohne Ausnahme allen Gesichtern des jüdischen Volkes aufgeprägt hat. Beide, Swidrigailow und der Achilles, betrachteten einander schweigend eine ganze Weile. Dem Achilles erschien es endlich nicht in der Ordnung, daß ein Mensch, der gar nicht betrunken ist, drei Schritte vor ihm steht, ihn anstarrt und nichts sagt.
    »Was su-uchen Sie denn hier?« fragte er mit unverkennbar jüdischem Akzent, ohne sich zu rühren und ohne seine Stellung zu verändern.
    »Gar nichts, Bruder, guten Tag!« antwortete Swidrigailow.
    »Hier ist nicht der Ort.«
    »Ich fahre in ein fremdes Land, Bruder.«
    »In ein fremdes Land?«
    »Nach Amerika.«
    »Nach Amerika?«
    Swidrigailow holte den Revolver hervor und spannte den Hahn. Der Achilles zog die Brauen hoch.
    »Was sind das für Scherze, hier ist nicht der Ort!«
    »Warum sollte hier nicht der Ort sein?«
    »Weil hier nicht der Ort ist.«
    »Na, Bruder, das ist mir einerlei. Der Ort ist gut; wenn man dich fragt, so sagst du eben, ich sei nach Amerika gefahren.«
    Er setzte den Revolver an seine rechte Schläfe.
    »Hier geht das nicht, hier ist nicht der Ort!« rief Achilles zusammenfahrend, während seine Pupillen sich immer mehr erweiterten.
    Swidrigailow drückte ab.
     
VII
     
    Am gleichen Tage, gegen Abend, um die siebente Stunde näherte sich Raskolnikow der Wohnung seiner Mutter und Schwester – der gleichen Wohnung im Hause Bakalejews, wo sie Rasumichin untergebracht hatte. Der Eingang zur Treppe war von der Straße aus. Vor dem Hause verlangsamte Raskolnikow seine Schritte, als schwankte er noch, ob er hinaufgehen solle oder nicht. Er würde aber um nichts in der Welt umkehren: sein Entschluß stand fest.
    – Außerdem ist es ganz gleich, denn sie wissen noch nichts – dachte er – und sie sind schon gewohnt, mich für einen Sonderling zu halten.
    Seine Kleidung war schrecklich: alles war beschmutzt, vom Regen während der Nacht durchnäßt, zerrissen und abgetragen. Sein Gesicht war entstellt durch die Müdigkeit, das schlechte Wetter, die körperliche Erschöpfung und den beinahe vierundzwanzigstündigen Kampf mit sich selbst. Die ganze Nacht hatte er ganz allein verbracht, Gott weiß wo. Aber er hatte sich wenigstens entschlossen.
    Er klopfte an die Tür, und die Mutter öffnete ihm. Dunjetschka war nicht zu Hause. Auch das Dienstmädchen war nicht da. Pulcheria Alexandrowna war zuerst stumm vor freudigem Erstaunen; dann ergriff sie seine Hand und zog ihn ins Zimmer.
    »Nun, da bist du ja!« begann sie, vor Freude stockend. »Sei mir nicht böse, Rodja, daß ich dich so dumm begrüße – mit Tränen; aber ich lache ja und weine nicht. Du glaubst, ich weine? Nein, es ist Freude, ich habe nur

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