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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Träumenden im wachen Zustande nie einfallen könnten, selbst wenn er ein Künstler wie Puschkin oder Turgenjew wäre. Solche krankhaften Träume prägen sich immer tief ins Gedächtnis ein und haben eine starke Wirkung auf einen kranken und bereits erregten Organismus.
    Raskolnikow sah einen schrecklichen Traum. Er sah sich in seine Jugend, in seine kleine Heimatstadt versetzt. Er ist sieben Jahre alt und geht an einem Feiertag abends mit seinem Vater in der Vorstadt spazieren. Der Tag ist schwül, es dämmert, die Landschaft ist genau so, wie er sie in seiner Erinnerung bewahrt hat, sie ist sogar viel deutlicher gezeichnet als in der Erinnerung. Das ganze Städtchen ist leicht zu überblicken, in der Umgebung ist kein Strauch oder Baum zu sehen, nur am fernen Horizonte sieht man etwas Dunkles – ein Wäldchen. Einige Schritte hinter dem letzten Gemüsegarten des Städtchens steht eine Branntweinschenke. Sie machte auf ihn, sooft er mit seinem Vater vorüberging, den unangenehmsten Eindruck, sie flößte ihm sogar Schrecken ein. Eine johlende Menge stand immer um die Schenke herum, man schrie, lachte und sang mit heiseren, trunkenen Stimmen, und immer gab es da Schlägereien. Man begegnete hier schrecklich versoffenen Individuen, und er schmiegte sich jedesmal zitternd an seinen Vater. Dicht an der Schenke geht eine Fahrstraße vorbei, sie ist staubig, und der Staub ist immer schwarz. Die Straße schlängelt sich etwa dreihundert Schritte von der Schenke entfernt um den städtischen Friedhof. Auf dem Friedhof steht eine Kirche aus Backstein mit einer grünen Kuppel. Diese Kirche pflegte er mit seinen Eltern zweimal jährlich zu den Seelenmessen für seine Großmutter zu besuchen, die vor vielen Jahren gestorben war und die er nicht gekannt hatte. Sie nahmen dann jedesmal in einer weißen Serviette eine weiße Schüssel mit dem Totengericht mit; es bestand aus süßem Reisbrei, in den Rosinen in Form eines Kreuzes hineingedrückt waren. Er liebte diese Kirche und die alten Heiligenbilder, die zum großen Teil keine Beschläge hatten, und den alten Priester mit dem zitternden Kopf. Neben dem Grabstein der Großmutter war das kleine Grab seines Bruders, der im Alter von sechs Monaten gestorben war und den er gleichfalls nicht gekannt hatte; es wurde ihm aber gesagt, er hätte einmal einen kleinen Bruder gehabt, und er bekreuzte sich jedesmal voll Andacht und küßte das Grab. Und da träumte ihm, er gehe mit seinem Vater diese Straße zum Friedhof an der Schenke vorbei. Er hat den Arm des Vaters umklammert und blickt ängstlich zu der Schenke hinüber. Sie interessiert ihn heute mehr als sonst; es scheint da ein Volksfest zu sein, es wimmelt von geputzten Weibern, Bauern und allem möglichen Gesindel. Alle sind betrunken und alle singen; vor der Schenke steht ein Wagen. Es ist einer von jenen großen Leiterwagen, die gewöhnlich mit schweren Lastgäulen bespannt werden und zum Transport von Schnapsfässern und anderen Waren dienen. Er liebte es, solchen langmähnigen und dickbeinigen Lastgäulen zuzuschauen, wie sie ruhig und sicher ganze Berge schleppen und sich dabei gar nicht abmühen, als spürten sie die schwere Last überhaupt nicht. Aber jetzt ist diesem schweren Wagen ein kleines schwaches hellbraunes Bauernpferd vorgespannt, eines von denen, die, wie er es oft gesehen hatte, mit einem Wagen Heu oder Brennholz stecken bleiben, besonders, wenn der Wagen in Kot gerät; in solchen Fällen pflegen die Bauern das Pferd erbarmungslos zu peitschen, die Peitschenhiebe fallen oft auf die Schnauze und auf die Augen; sooft er eine solche Szene beobachtet hatte, waren ihm Tränen in die Augen getreten, und die Mutter hatte ihn vom Fenster wegführen müssen. In die Menge kommt plötzlich Bewegung: aus der Schenke tritt ein Trupp gänzlich besoffener, riesengroßer, schreiender und singender Bauern, sie tragen rote und blaue Kittel, ihre Filzmäntel sind lose um die Schultern geworfen, und sie halten Balalaikas in der Hand. »Setzt euch alle, alle!« schreit ein junger Bauer mit fleischigem Hals und ziegelrotem Gesicht. »Ich fahre euch alle! Setzt euch nur!« Ringsum erschallt Gelächter, man ruft ihm zu:
    »So eine Schindmähre soll uns schleppen?!«
    »Bist du verrückt, Mikolka? Ein solches Pferd in diesen Wagen zu spannen!«
    »Die Stute ist ja mindestens zwanzig Jahre alt!«
    »Setzt euch nur, ich fahre euch alle!« schreit Mikolka, in den Wagen springend und die Zügel ergreifend. »Matwej ist vorhin mit dem braunen

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