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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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zusammen und erkannte Nastasja.
    »Ist der Tee von der Wirtin, wie?« fragte er, indem er sich langsam und mit krankhaftem Ausdruck vom Sofa erhob.
    »Ach was, von der Wirtin!«
    Sie stellte vor ihn ihre eigene, gesprungene Teekanne mit dem schon einmal aufgebrühten Tee hin und legte zwei Stückchen gelben Zucker dazu.
    »Hier, Nastasja, nimm das, bitte«, sagte er, nachdem er in seiner Tasche gesucht (er hatte in den Kleidern geschlafen) und eine Handvoll Kupfergeld hervorgeholt hatte. »Geh und kaufe mir eine Semmel. Bring auch etwas Wurst aus dem Wurstladen mit, doch von der billigen.«
    »Die Semmel bringe ich dir sofort, willst du aber vielleicht statt der Wurst Kohlsuppe? Es ist eine gute Kohlsuppe von gestern. Ich hatte sie gestern für dich zurückgestellt, du kamst aber spät heim. Eine gute Kohlsuppe.«
    Als die Kohlsuppe vor ihm stand und er sie zu löffeln begann, setzte sich Nastasja neben ihn aufs Sofa und fing zu schwatzen an. Sie stammte vom Lande und war sehr geschwätzig.
    »Praskowja Pawlowna will sich über dich bei der Polizei beschweren«, sagte sie.
    Er verzog schmerzvoll das Gesicht.
    »Bei der Polizei? Was will sie denn?«
    »Du zahlst nichts und ziehst nicht aus. Kannst dir wohl denken, was sie will.«
    »Zum Teufel, das hat mir noch gefehlt«, murmelte er, mit den Zähnen knirschend. »Nein, das ist mir jetzt ... sehr ungelegen ... Eine dumme Gans ist sie«, fügte er laut hinzu. »Ich will heute zu ihr gehen und mit ihr reden.«
    »Sie ist wohl eine dumme Gans wie ich, aber warum liegst du, Kluger, wie ein Sack da, warum sieht man dich nichts tun? Früher, sagst du, hast du Kindern Stunden gegeben; warum tust du aber jetzt nichts?«
    »Ich tue ...« versetzte Raskolnikow unwillig und düster.
    »Was tust du denn?«
    »Eine Arbeit ...«
    »Was für eine Arbeit?«
    »Ich denke«, antwortete er nach einem Schweigen ernst.
    Nastasja schüttelte sich vor Lachen. Sie war von den Lachlustigen, und wenn man sie zum Lachen brachte, lachte sie lautlos, sich schüttelnd und am ganzen Leibe bebend, bis es ihr übel wurde.
    »Hast du dir schon viel Geld erdacht?« brachte sie endlich hervor.
    »Ohne Stiefel kann man keine Stunden geben. Ich spucke auch darauf.«
    »Spuck nicht in den Brunnen.«
    »Das Stundengeben bringt nur Kupfergeld ein. Was kann man mit den paar Kopeken anfangen?« fuhr er unwillig fort, als antwortete er seinen eigenen Gedanken.
    »Du willst aber wohl das ganze Kapital auf einmal haben?«
    Er sah sie sonderbar an.
    »Ja, das ganze Kapital«, antwortete er mit fester Stimme nach einer Pause.
    »Platz doch nicht gleich damit heraus, sonst machst du einem Angst; es ist gar zu schrecklich. Soll ich dir die Semmel holen oder nicht?«
    »Wie du willst.«
    »Ja, ich hab's vergessen! Gestern, als du fort warst, kam ein Brief für dich.«
    »Ein Brief?! Für mich?! Von wem?!«
    »Von wem, das weiß ich nicht. Drei Kopeken habe ich dem Briefträger aus eigenem Geld geben müssen. Wirst du sie mir zurückgeben?«
    »Bring ihn doch um Gottes willen her!« schrie Raskolnikow ganz aufgeregt. »Mein Gott!«
    Nach einer Minute erschien der Brief. »Also wirklich von der Mutter aus dem R-schen Gouvernement.« Er erbleichte sogar, als er ihn in die Hand nahm. Lange schon hatte er keine Briefe erhalten, und jetzt preßte ihm auch noch etwas anderes das Herz zusammen.
    »Nastasja, geh fort, um Gottes willen; da hast du deine drei Kopeken, geh aber um Gottes willen schnell fort!«
    Der Brief zitterte in seinen Händen; er wollte ihn nicht in ihrer Anwesenheit öffnen: er wollte mit dem Briefe alleinbleiben. Als Nastasja gegangen war, führte er den Brief schnell an seine Lippen und küßte ihn; dann studierte er lange die Handschrift der Adresse, die ihm so gut bekannte und liebe, feine, schräge Schrift der Mutter, die ihn einst im Lesen und Schreiben unterrichtet hatte. Er zögerte; er schien sogar etwas zu fürchten. Endlich öffnete er ihn: der Brief war lang, ganze zwei Lot schwer; zwei große Briefbogen waren eng beschrieben.
    »Mein lieber Rodja,« schrieb die Mutter, »es sind schon über zwei Monate her, daß ich mit Dir nicht mehr brieflich gesprochen habe; darunter habe ich selbst gelitten und konnte manche Nacht vor lauter Denken nicht einschlafen. Du wirst mir sicher aus diesem ungewollten Schweigen einen Vorwurf machen. Du weißt doch, wie ich Dich liebe; Du bist unser Einziger, Du bist für mich und Dunja unser alles, unsere ganze Hoffnung und Zuversicht. Was habe ich nicht alles

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