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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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der ganzen letzten Zeit und besonders der letzten Stunden niedergedrückt, daß er sich der Möglichkeit dieser neuen, vollkommenen und ungeteilten Empfindung sofort hingab. Wie ein Krampf überkam es ihn plötzlich: es entzündete sich in seiner Seele als Funke und ergriff ihn dann plötzlich ganz wie eine Flamme. Alles schmolz in ihm auf einmal, Tränen stürzten ihm aus den Augen. Wo er stand, sank er zu Boden ...
    Er kniete mitten auf dem Platze nieder, verneigte sich bis zur Erde und küßte diese schmutzige Erde mit Genuß und voll Seligkeit. Er stand auf und verneigte sich noch einmal.
    »Wie der sich vollgesoffen hat!« bemerkte ein Bursche in seiner Nähe.
    Viele lachten.
    »Er geht nach Jerusalem, Brüder, nimmt Abschied von seinen Kindern und seiner Heimat, verneigt sich vor der ganzen Welt und küßt die Residenzstadt Sankt Petersburg und ihren Grund!« fügte ein betrunkener Kleinbürger hinzu.
    »Das Bürschlein ist noch jung!« bemerkte ein dritter.
    »Vom Adel!« sagte jemand mit gesetzter Stimme.
    »Heutzutage kennt man sich nicht mehr aus, wer vom Adel ist und wer nicht.«
    Alle diese Rufe und Gespräche hielten Raskolnikow zurück, und die Worte: »Ich habe getötet«, die ihm von den Lippen kommen wollten, erstarben in ihm. Er ließ jedoch alle diese Rufe ruhig über sich ergehen und ging, ohne sich umzusehen, direkt in die Gasse, die zum Polizeibureau führte. Unterwegs tauchte vor ihm eine Erscheinung auf, aber er wunderte sich nicht über sie; er hatte schon geahnt, daß es so kommen müsse. Als er sich auf dem Heumarkt zum zweiten Male, nach links gewandt, verbeugte, sah er etwa fünfzig Schritte entfernt Ssonja. Sie verbarg sich vor ihm hinter einer der Bretterbuden, die auf dem Platze standen; also hatte sie ihn auf dem ganzen Leidensweg begleitet! Raskolnikow fühlte und begriff in diesem Augenblick ein für allemal, daß Ssonja ewig bei ihm bleiben und ihm auch bis ans Ende der Welt folgen würde, was für ein Schicksal ihn auch erwartete. Und sein ganzes Herz wandte sich ... aber er hatte schon den verhängnisvollen Ort erreicht ...
    Er betrat ziemlich sicher den Hof. Er mußte in den zweiten Stock. – Es wird noch eine Weile dauern, bis ich hinaufkomme – dachte er. Überhaupt schien es ihm, als sei der entscheidende Augenblick noch fern, als habe er noch viel Zeit und könne sich noch vieles überlegen.
    Wieder der gleiche Kehricht, die gleichen Abfälle auf der Wendeltreppe, die Türen aller Wohnungen standen wieder weit offen, wieder dieselben Küchen, aus denen Dunst und Gestank kam. Raskolnikow war seit damals nicht mehr hier gewesen. Seine Beine erstarrten und knickten ein, bewegten sich aber doch. Er blieb einen Augenblick stehen, um Atem zu schöpfen, um sich zu erholen und als Menscheinzutreten. – Aber wozu? Warum? – dachte er plötzlich, als er seine Bewegung bemerkte. – Wenn ich schon diesen Kelch trinken muß, so ist doch alles gleich! Je schlimmer, um so besser. – Er stellte sich plötzlich die Gestalt des Ilja Petrowitsch »Pulver« vor. – Muß ich denn wirklich zu ihm? Kann ich nicht zu einem anderen? Kann ich nicht zu Nikodim Fomitsch? Sofort umkehren und zum Revieraufseher selbst in die Wohnung gehen? Dann wird sich alles ganz familiär abspielen ... Nein, nein! Zu Pulver, zu Pulver ... Wenn ich schon trinken soll, dann alles auf einmal ... –
    Fröstelnd und kaum seiner Sinne mächtig, öffnete er die Tür zum Polizeibureau. Diesmal waren sehr wenig Menschen da: er sah einen Hausknecht und noch einen einfachen Mann. Der Bureaudiener schaute nicht einmal hinter seinem Verschlag heraus. Raskolnikow ging ins nächste Zimmer. – Vielleicht geht es auch, daß ich gar nichts sage, – ging es ihm durch den Kopf. Irgendein Mensch, wahrscheinlich ein Schreiber, in Zivilkleidung, schickte sich gerade an, etwas auf seinem Pulte zu schreiben. In einer Ecke machte sich noch ein Schreiber an die Arbeit. Samjotow war nicht da. Auch Nikodim Fomitsch war natürlich noch nicht da.
    »Ist niemand da?« wandte sich Raskolnikow an den Mann am Pulte.
    »Wen wünschen Sie?«
    »Ah! Man hört nichts, man sieht nichts, riecht aber den Russen ... wie heißt es noch in dem Märchen ... hab es vergessen! M-meine Hochachtung!« rief plötzlich eine bekannte Stimme.
    Raskolnikow erzitterte. Vor ihm stand Pulver; er war plötzlich aus dem dritten Zimmer gekommen. – Das ist das Schicksal selbst – dachte Raskolnikow. – Warum ist er hier? –
    »Zu uns? In welcher Angelegenheit?«

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