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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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Flußufer gestanden und die Selbstanzeige vorgezogen? Liegt denn eine solche Kraft in diesem Willen zum Leben und ist er so schwer zu überwinden? Hat doch Swidrigailow, der den Tod so fürchtete, diesen Willen überwunden!
    Voller Qual stellte er sich diese Frage und konnte nicht verstehen, daß er vielleicht schon damals, als er am Wasser stand, in sich selbst und in seinen Überzeugungen eine tiefe Lüge geahnt hatte. Er verstand nicht, daß diese Vorahnung der Vorbote einer künftigen Umwälzung in seinem Leben, seiner künftigen Auferstehung, seiner künftigen neuen Anschauung vom Leben sein konnte.
    Er ließ hier eher die dumpfe Schwere des Instinkts gelten, die zu zerreißen nicht seine Sache war und die zu überschreiten er wiederum nicht die Kraft hatte (infolge seiner Schwäche und Nichtigkeit). Er sah seine Zuchthausgenossen an und wunderte sich: wie auch sie alle das Leben liebten und an ihm hingen! Es kam ihm sogar vor, daß man im Zuchthause das Leben noch mehr liebte und schätzte, als man es in der Freiheit schätzt. Was für schreckliche Qualen und Martern haben manche von ihnen schon überstanden, zum Beispiel die Landstreicher! Kann denn für so einen wirklich ein Sonnenstrahl, ein dichter Wald, eine kalte Quelle im Dickicht, die er sich schon vor drei Jahren gemerkt hat und nach der er sich wie nach einer Geliebten sehnt, von der er träumt wie auch vom grünen Grase um sie herum und vom singenden Vogel im Gebüsch, so vielbedeuten?! Und als er die Leute noch aufmerksamer betrachtete, fand er noch unerklärlichere Beispiele dafür.
    Im Zuchthause, in seiner nächsten Umgebung bemerkte er natürlich vieles nicht und wollte es auch gar nicht bemerken. Er lebte gleichsam mit gesenkten Augen; es war ihm unerträglich und widerlich, zu sehen. Aber zuletzt mußte er doch über vieles staunen, und er begann fast unwillkürlich, vieles zu sehen, was er früher nicht mal geahnt hatte. Überhaupt und am meisten machte ihn der schreckliche, unüberbrückbare Abgrund staunen, der zwischen ihm und allen diesen Menschen lag. Es war, als gehörten sie verschiedenen Nationen an. Er und sie sahen einander mißtrauisch und feindselig an. Er kannte und begriff die allgemeinen Ursachen dieser Feindschaft; aber er hätte früher niemals geglaubt, daß diese Ursachen wirklich so tief und stark sein könnten. Im Zuchthause befanden sich auch verbannte Polen, politische Verbrecher. Diese hielten alle übrigen Sträflinge einfach für ungebildete Bauern und verachteten sie; aber Raskolnikow konnte sie nicht so ansehen: er sah klar, daß diese Bauern in vielen Dingen viel klüger waren als die Polen selbst. Es waren auch Russen da, die dieses Volk zu sehr verachteten: ein gewesener Offizier und zwei gewesene Zöglinge eines Priesterseminars. Raskolnikow sah auch ihren Irrtum klar.
    Ihn selbst aber liebten alle nicht und mieden ihn. Schließlich fing man ihn sogar zu hassen an, – warum? Er wußte es nicht. Man verachtete ihn, man lachte über ihn, und die, die viel verbrecherischer waren als er, lachten über sein Verbrechen.
    »Du bist ein Herr!« sagte man ihm. »Es war nicht deine Sache, mit einem Beile zu gehen; das ist nichts für einen Herrn.«
    In der zweiten Woche der großen Fasten kam er an die Reihe, sich zugleich mit der ganzen Kaserne zum Abendmahl vorzubereiten. Er ging zur Kirche mit den anderen. Eines Tages kam es, er wußte selbst nicht, aus welchem Grunde, zum Streite; alle fielen plötzlich wütend über ihn her.
    »Du bist ein Gottloser! Du glaubst nicht an Gott!« schrien sie alle. »Man müßte dich erschlagen!«
    Er sprach niemals mit ihnen über Gott und über den Glauben, aber sie wollten ihn als einen Gottlosen erschlagen; er schwieg und widersprach ihnen nicht. Ein Zuchthäusler stürzte sich auf ihn in äußerster Wut. Raskolnikow erwartete ihn ruhig und schweigend; er zuckte mit keiner Wimper, kein Zug seines Gesichtes bebte. Der Wachsoldat stellte sich noch rechtzeitig zwischen ihn und den Mörder, – sonst wäre Blut geflossen.
    Unerklärlich war für ihn noch eine Frage: Warum hatten sie alle Ssonja so lieb gewonnen? Sie suchte sich bei ihnen niemals einzuschmeicheln; sie trafen sie selten, nur manchmal bei den Arbeiten, wenn sie auf einen Augenblick kam, um ihn zu sehen. Und doch kannten sie sie alle und wußten auch, daß sie ihmgefolgt war, wußten, wie sie lebte und wo sie wohnte. Geld gab sie ihnen nicht und erwies ihnen auch keine besonderen Dienste. Nur einmal zu Weihnachten brachte

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