Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
Revieraufsehers, auf der Treppe ... Warum hat er sie so geprügelt? Und ... warum war er hergekommen?«
Nastasja betrachtete ihn schweigend mit gerunzelter Stirn und sah ihn lange so an. Dies wurde ihm unangenehm, es erschreckte ihn sogar.
»Nastasja, was schweigst du?« fragte er schließlich ängstlich mit schwacher Stimme.
»Das ist das Blut«, antwortete sie endlich leise wie vor sich hin.
»Blut! ... Was für ein Blut? ...« murmelte er erbleichend und zur Wand rückend.
Nastasja sah ihn noch immer schweigend an.
»Niemand hat die Wirtin geschlagen«, sagte sie wieder streng und bestimmt.
Er sah sie an und atmete kaum.
»Ich habe es selbst gehört ... ich habe nicht geschlafen ... ich habe gesessen«, sagte er noch ängstlicher. »Ich habe lang zugehört ... Der Gehilfe des Revieraufsehers war hier ... Alle Leute aus allen Wohnungen waren auf der Treppe zusammengelaufen ...«
»Niemand war hier. Es ist das Blut, das aus dir schreit. Wenn es keinen Ausweg hat und gerinnt, so kommt einem mancherlei vor ... Wirst du essen, wie?«
Er gab keine Antwort. Nastasja stand noch immer vor ihm, sah ihn unverwandt an und ging nicht.
»Gib mir zu trinken ... Nastasjuschka.«
Sie ging hinunter und brachte nach zwei Minuten Wasser in einem weißen tönernen Becher; was weiter kam, erinnerte er sich nicht mehr. Er erinnerte sich nur noch, wie er einen Schluck kalten Wassers getrunken und den Inhalt des Bechers auf die Brust verschüttet hatte. Dann wurde er bewußtlos.
III
Man kann jedoch nicht sagen, daß er während seiner ganzen Krankheit bewußtlos geblieben wäre: es war ein fieberhafter Zustand mit Delirien und halbem Bewußtsein. An vieles konnte er sich später erinnern. Bald schien es ihm, als versammele sich um ihn eine Menge von Menschen, die ihn nehmen und irgendwohin forttragen wollten; als stritten und zankten sie sich seinetwegen. Bald sah er sich allein im Zimmer; alle sind weggegangen und fürchten sich vor ihm und öffnen nur zuweilen die Tür, um nach ihm zu sehen; sie drohen ihm, vereinbaren etwas unter sich, lachen und necken ihn. Er erkannte oft Nastasja in seiner Nähe; er unterschied auch noch einen anderen Menschen, der ihm bekannt vorkam, wer es aber war, darauf konnte er unmöglich kommen; er litt darunter und weinte sogar. Zuweilen schien es ihm, daß er schon seit einem Monat liege: zuweilen aber, es sei noch immer der gleiche Tag. Aber jeneshatte er vollkommen vergessen; dafür war er sich fortwährend bewußt, daß er etwas vergessen habe, was er nicht hätte vergessen dürfen, – er zermarterte sich und quälte sich, indem er sich dessen zu erinnern bemühte, er stöhnte, ihn packte Raserei oder eine schreckliche, unerträgliche Angst. Dann wollte er aufstehen, wollte weglaufen, doch jemand hielt ihn jedesmal mit Gewalt zurück, und er fiel wieder in Ohnmacht und Bewußtlosigkeit. Endlich kam er aber ganz zu sich.
Das geschah an einem Morgen um zehn Uhr. Um diese Stunde pflegte die Sonne an heiteren Tagen immer einen langen Streifen auf seiner rechten Wand zu malen und die Ecke an der Tür zu beleuchten. Vor seinem Bette standen Nastasja und noch ein Mensch, der ihn sehr neugierig betrachtete und den er gar nicht kannte. Es war ein junger Bursche in einem langen Rock, mit kleinem Bärtchen, dem Aussehen nach ein Kontordiener. Durch die halbgeöffnete Tür blickte die Wirtin herein. Raskolnikow erhob sich.
»Wer ist das, Nastasja?« fragte er, auf den Burschen zeigend.
»Schau, er ist zu sich gekommen!« sagte sie.
»Der Herr sind zu sich gekommen«, wiederholte der Kontordiener.
Als die Wirtin, die hereinblickte, merkte, daß er zu sich gekommen war, schloß sie sofort die Tür und verschwand. Sie war immer schüchtern gewesen, und alle Gespräche und Auseinandersetzungen waren ihr eine Last; sie war gegen vierzig, sehr dick und fett, hatte schwarze Augen und schwarze Brauen und war vor lauter Dicke und Faulheit gutmütig; ihr Gesicht war gar nicht übel. Dabei war sie von einer übertriebenen Schamhaftigkeit.
»Wer sind ... Sie?« fragte er weiter, sich an den Kontordiener selbst wendend. Doch im gleichen Augenblick wurde die Tür wieder weit geöffnet, und herein trat, ein wenig gebückt, da er sehr groß war, Rasumichin.
»Diese Schiffskajüte!« rief er beim Eintreten. »Jedesmal stoße ich mit der Stirn an. Das nennt sich auch Wohnung! Du bist aber zu dir gekommen, Bruder? Ich habe es eben von Paschenjka 1 gehört.«
»Eben ist er zu sich gekommen«, sagte
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