Verdammnis
aufgehalten hatte, bestanden womöglich sogar gewisse internationale Verbindungen.
Nur eine einzige Schlagzeile ging Lisbeth wirklich nahe:
»WIR HATTEN ANGST VOR IHR«
Sie sprach Morddrohungen aus, sagen Lehrer und Klassenkameraden.
In diesem Artikel kam eine ehemalige Lehrerin zu Wort, Birgitta Miåås, nunmehr Textilkünstlerin, die berichtete, Lisbeth Salander habe ihre Klassenkameraden bedroht und sogar die Lehrer in Angst und Schrecken versetzt.
Lisbeth kannte Miåås tatsächlich. Es war jedoch keine übermäßig nette Bekanntschaft gewesen.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Damals war sie elf gewesen. Sie hatte Miåås als eine unangenehme Aushilfslehrerin für Mathematik in Erinnerung, die mehrmals versuchte, eine Antwort von ihr zu erzwingen, und zwar auf eine Frage, die Lisbeth bereits korrekt beantwortet hatte. Laut Lösungsschlüssel ihrer Lehrerin war die Antwort falsch. In Wirklichkeit war freilich der Lösungsschlüssel falsch, was in Lisbeths Augen doch jedem klar sein musste. Doch Miåås drang immer heftiger in sie, und Lisbeths Unwille, die Sache zu diskutieren, wuchs zusehends. Zum Schluss war ihr Mund nur noch ein schmaler Strich, bis Miåås sie entnervt an den Schultern packte und schüttelte, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Woraufhin Lisbeth ihr das Mathematikbuch an den Kopf warf und das Tohuwabohu erst richtig losging. Sie spuckte und fauchte und trat um sich, als ihre Klassenkameraden versuchten, sie festzuhalten.
Der Zeitungsartikel nahm eine Doppelseite ein und brachte auch die Aussage eines ehemaligen Klassenkameraden, der vor dem Eingang zu ihrer alten Schule posierte. Der betreffende Mitschüler hieß David Gustavsson und nannte sich mittlerweile Kaufmännischer Assistent. Er behauptete, die Mitschüler hätten Angst vor Lisbeth Salander gehabt, weil sie »einmal gedroht hat, uns zu töten«. Lisbeth erinnerte sich an David Gustavsson - er war einer ihrer übelsten Peiniger in der Schule gewesen, eine muskulöse Bestie mit dem IQ eines Raubfischs, der sich kaum eine Gelegenheit entgehen ließ, in den Schulfluren Beleidigungen und Rempler auszuteilen. Einmal überfiel er sie hinter der Turnhalle, und sie schlug wie immer zurück. Rein körperlich hatte sie keine Chance, aber ihrer Meinung nach war der Tod einer Kapitulation vorzuziehen. Bei diesem Vorfall waren die Dinge aus dem Gleis geraten. Eine große Zahl von Klassenkameraden bildete einen Kreis um die beiden und sah zu, wie David Gustavsson sie immer wieder zu Boden schlug. Bis zu einem gewissen Punkt war das noch ganz amüsant, aber das dumme Mädchen wusste offenbar nicht, was gut für sie war. Sie wollte einfach nicht liegen bleiben, und außerdem fing sie auch nicht an zu heulen und um Gnade zu bitten.
Nach einer Weile wurde es dann auch den anderen zu viel. David war so klar überlegen und Lisbeth so offensichtlich hilflos, dass er Minuspunkte sammelte. Er hatte da etwas angefangen, was er nicht zu Ende bringen konnte. Schließlich verpasste er Lisbeth zwei richtige Faustschläge, sodass ihre Lippe aufsprang und sie keine Luft mehr kriegte. Ihre Schulkameraden ließen das jämmerliche Häufchen hinter der Turnhalle liegen und verschwanden lachend um die Ecke.
Lisbeth Salander ging nach Hause und leckte ihre Wunden. Zwei Tage später war sie wieder aufgetaucht, mit einem Baseballschläger in der Hand. Mitten auf dem Schulhof versetzte sie David einen Hieb übers Ohr. Als er schockiert auf dem Boden lag, presste sie ihm den Schläger auf die Kehle, beugte sich zu ihm herab und flüsterte ihm ins Ohr, wenn er sie jemals wieder anfassen sollte, würde sie ihn umbringen. Als die Aufsicht entdeckte, was auf dem Pausenhof vor sich ging, wurde David zur Schulschwester verfrachtet, während man Lisbeth zum Rektor schleifte, der sie bestrafte, einen Vermerk in ihrer Akte machte und eine neuerliche Untersuchung veranlasste.
Lisbeth hatte fünfzehn Jahre lang nicht mehr über die Existenzberechtigung von Miåås oder Gustavsson nachgedacht. Nun machte sie sich eine Notiz im Hinterkopf, sobald sie ein wenig Zeit hatte, einmal zu überprüfen, was die beiden eigentlich heute so trieben.
Nach all den Berichten war Lisbeth Salander dem ganzen schwedischen Volk ein Begriff geworden. Man untersuchte und überprüfte ihren persönlichen Hintergrund, veröffentlichte alles bis ins geringste Detail, vom Gewaltausbruch in der Grundschule bis zur Behandlung in der psychiatrischen Kinderklinik St. Stefans bei Uppsala, wo sie
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