Verdammnis
rammte sie ihm einen Ellbogen ins Auge, griff dann nach einer der waagrecht verlaufenden Haltestangen, zog sich hoch und trat ihm mit beiden Absätzen auf die Nasenwurzel, woraufhin ein bisschen Blut floss.
Als der Zug stehen blieb, gelang es ihr zwar, aus dem Wagen zu schlüpfen, aber da sie nach der neuesten Punkmode gekleidet war und blaue Haare hatte, warf sich ein Freund von Recht und Ordnung auf sie und drückte sie zu Boden, bis die Polizei kam.
Sie verfluchte ihr Geschlecht und ihren Körperbau. Wäre sie ein Kerl gewesen, hätte niemand gewagt, sich so auf sie zu werfen.
Sie unternahm keinen einzigen Versuch, zu erklären, warum sie Karl Evert Blomgren ins Gesicht getreten hatte. Sie hielt es für aussichtslos, den uniformierten Autoritätspersonen irgendetwas erklären zu wollen. Aus Prinzip weigerte sie sich auch zu reagieren, als Psychologen versuchten, ihren Geisteszustand festzustellen. Zum Glück hatten mehrere andere Passagiere den Tathergang beobachtet, darunter auch eine streitbare Dame aus Härnösand, die zufällig für die Zentrumspartei im Reichstag saß. Sie sagte als Zeugin aus, dass Blomgren Salander vor ihrem gewalttätigen Ausbruch begrapscht hätte. Als sich hinterher herausstellte, dass Blomgren schon zweimal wegen Sittlichkeitsverbrechen verurteilt worden war, beschloss der Staatsanwalt, das Verfahren einzustellen. Das bedeutete jedoch nicht, dass auch das Sozialamt seine Untersuchung eingestellt hätte. Was zur Folge hatte, dass Lisbeth Salander wenig später für geschäftsunfähig erklärt worden war. Danach war erst Holger Palmgren, dann Nils Bjurman ihr rechtlicher Betreuer geworden.
Nun standen all diese intimen und geheimen Details für jedermann zugänglich im Internet. Ihr Lebenslauf wurde abgerundet durch schillernde Beschreibungen, wie sie seit der Grundschule immer wieder mit ihrer Umwelt in Konflikt geraten war und ihre frühen Teenagerjahre in einer psychiatrischen Kinderklinik verbracht hatte.
Die Diagnose, die die Medien in Sachen Lisbeth Salander stellten, variierte je nach Zeitung und Auflage. Mal beschrieb man sie als psychotisch, dann wieder als schizophren mit ernsten Zügen von Verfolgungswahn. Alle Zeitungen bezeichneten sie einhellig als geistig minderbemittelt - sie hatte ja nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Dass sie labil und gewaltbereit war, daran bestand für die Öffentlichkeit gar kein Zweifel.
Als die Massenmedien herausfanden, dass Lisbeth Salander die notorische Lesbe Miriam Wu kannte, war das für viele Blätter ein gefundenes Fressen. Miriam Wu war auf dem Gay-Pride-Festival bei Benita Costas Performance aufgetreten - eine provokative Show, bei der man Mimmi mit nacktem Oberkörper, Lederhosen mit Hosenträgern und hochhackigen Lackstiefeln fotografiert hatte. Außerdem hatte sie Artikel für eine Gay-Zeitschrift geschrieben, die jetzt fleißig von allen Medien zitiert wurden, und war in diversen anderen Shows aufgetreten. Die Kombination einer möglichen lesbischen Massenmörderin und nervenkitzelndem SM-Sex schien Rekordauflagen zu garantieren.
Als Miriam Wu in der ersten dramatischen Woche nicht aufzufinden war, entstanden die verschiedensten Spekulationen. Man mutmaßte sogar, sie könnte ebenfalls Salander zum Opfer gefallen sein - oder war sie am Ende gar eine Mittäterin? Diese Überlegungen beschränkten sich jedoch hauptsächlich auf die Chatseite »Exilen« im Internet und drangen nicht bis in die größeren Massenmedien vor. Als jedoch herauskam, dass es in Mia Bergmans Dissertation um Mädchenhandel ging, spekulierten mehrere Zeitungen, dass dies Lisbeth Salanders Mordmotiv sein könnte, weil sie ja nach Angaben des Sozialamts Prostituierte war.
Gegen Ende der Woche wurden Salander auch Verbindungen zu einer Gang junger Frauen nachgesagt, die sich dem Satanismus verschrieben hatte. Die Gruppe nannte sich Evil Fingers . Dies veranlasste einen älteren männlichen Kulturjournalisten zu einem Artikel über die Entwurzelung der heutigen Jugend und die Gefahren, die hinter allen möglichen Phänomenen von der Skinhead-Kultur bis zum Hip-Hop lauern.
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Öffentlichkeit der Geschichten über Lisbeth Salander langsam müde. Offenbar war die Polizei hinter einer psychotischen Lesbe her, die zu einer
Gang sadomasochistischer Satanistinnen gehörte, die SM-Sex propagierten, die Gesellschaft im Allgemeinen und die Männer im Besonderen hassten. Da Lisbeth Salander sich im vorigen Jahr im Ausland
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