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Verdammt feurig

Verdammt feurig

Titel: Verdammt feurig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sich mitten am Tag ins Bett. Mein Kopf sackte automatisch zwischen meine Schultern. Das war alles meine Schuld. Der Bierlapp griff Papas Kunden ab, weil sich herumgesprochen hatte, dass Mama nun unten werkelte und vorgestern eine 87-Jährige aufgetakelt hatte wie Lady Gaga. Die Angehörigen waren vor Schreck in Tränen ausgebrochen. Und wer hatte das alles ausgelöst? Ich. Weil ich mir unbedingt die Beine rasieren musste. Obwohl sich doch kein Mensch für meine Beine interessierte.
    »Mama?« Ich drückte vorsichtig die Küchentür auf. Mama stand auf einer kleinen Leiter, wandte mir ihr quadratisches Hinterteil zu und wischte die oberen Fächer des Küchenschranks aus. Auf dem Tisch stapelten sich Backformen und Bleche übereinander.
    »Moment, Kleines.« Mit einem gewaltigen Sprung hechtete sie von der wankenden Leiter. »Ich will Muffins backen, unten fürs Büro. Denn auch in der Trauer müssen die Menschen etwas essen. Essen hält Leib und Seele zusammen.«
    Das mochte ja wahr sein – aber das galt bestimmt nicht für Mamas Muffins. Die verkürzten das Leben. Zerstreut sah sie mich an. »Und was hast du auf dem Herzen?«
    »Ich hab doch heute Abend mein Date mit Seppo – äh, ich meine natürlich mit Serdan und Seppo, du weißt schon …«
    »Ach Gott, Seppo! Die Lombardis! Das hab ich ja total vergessen …« Mama griff in den Stapel Backformen und zog ein kantiges, hohes Blech heraus. »Kannst du das bitte Seppo geben? Ich hatte es mir ausgeliehen.«
    »Ich soll mit einem Backblech ins Kino gehen?«
    »Luzie, bitte, sei so lieb. Ich muss gleich wieder runter und Seppo hat es mir persönlich hierhergebracht und …«
    »Moment.« Ich wurde stutzig. »Seppo war bei uns?« Seppo hatte uns doch noch nie besucht. Wir waren immer drüben gewesen, aber umgekehrt nicht. Ich hatte es nicht einmal geschafft, ihn in den Keller zu locken. Mama blickte mich verdutzt an.
    »Ja, Seppo – ich dachte, du weißt das, schließlich hat er dir doch dein Geografiebuch ins Zimmer gelegt. Du hattest es in der Schule vergessen, sagte er. Ich fand das sehr nobel von ihm.«
    »Seppo war bei mir im Zimmer!?« Mir kam plötzlich ein schrecklicher Verdacht – ja, er war so schrecklich und fühlte sich so grauenhaft an, dass ich ihn zuerst gar nicht zu Ende denken wollte. Aber dann fragte ich doch weiter. »Wann genau war das? Und wo war ich?«
    »Ach Gott, Luzie, das weiß ich nicht mehr …« Doch dann straffte Mama ihren Rücken und blähte die Backen auf. »Oh, ich weiß es doch noch. Diesen Tag werde ich nie vergessen«, sagte sie dumpf. »Das war der Tag, an dem ich erfuhr, dass meine Tochter jahrelang versucht hatte, sich von irgendwelchen Gebäuden zu stürzen, genau wie in diesem Moment, als …«
    »Und du hast Seppo in mein Zimmer gelassen. Obwohl ich nicht da war.« Meine Stimme piepste wie ein verletzter Vogel.
    »Ja, warum nicht?« Mama hob die Hände. »Ihr kennt euch doch schon ewig. Er wollte dir nur ein Buch bringen.«
    »Und danach hast du das Video entdeckt. War es so!?« Nun piepste ich nicht mehr. Nein, ich brüllte. Ich wartete Mamas Antwort nicht ab, sondern stürzte in den Flur, griff nach meiner Jacke, wickelte mir im Gehen den Schal um den Hals und rannte die Treppe hinunter.
    Ich musste die Pizzeria nicht betreten. Seppo stand an der Straßenecke und telefonierte. Das machte er oft, denn in der Pizzeria war es meistens zu laut zum Reden, und in diesem Moment war mir das sehr recht, denn so würde er jedes meiner Worte verstehen und sich nicht hinter seinen blöden Pizzaofen verkriechen können.
    Ehe er mich sehen konnte, hieb ich ihm meine Faust in den Bauch.
    »Du verdammter Arsch!«, schrie ich, und ein paar Leute drehten sich nach mir um. »Du hast mich verraten! Du hast dich in mein Zimmer geschlichen und das Video abgespielt, damit meine Eltern es sehen! Wie konntest du das tun?«
    Ich hörte auf zu brüllen, weil meine Stimme schrill wurde, und das wollte ich nicht. Seppo ließ das Handy langsam in seine Jackentasche gleiten.
    »Luzie, hör mir mal zu, ich …«
    »Nein, ich höre dir nicht zu!« Okay, meine Stimme war nicht mehr schrill. Weiterbrüllen. Ich hatte lange nicht mehr gebrüllt und es tat gut. »Das war hundsgemein! Warum tust du so was? Ich dachte, du magst mich! Und vor allem hab ich jemand anderes verdächtigt, die ganze Zeit, und ich hab schon angefangen, ihn zu hassen, und deshalb wird er wahrscheinlich nie wiederkommen, nie mehr …« Beim Gedanken an Leander schluchzte ich kurz auf.

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