Verdammt feurig
grässlich kitschige Engelsfiguren aus Keramik, mit gefalteten Händen und viel zu großen Flügeln. Außerdem hatte sie die Reinigungslotionen, das Öl und die Schminkutensilien in dunkelrosafarbene Flakons und Körbchen umgeräumt. Nur das Wasser befand sich noch in seinem alten Flakon. Wenn Papa das sah, würde ihn der Schlag treffen.
Ein leises Zischen hinter mir ließ mich zusammenfahren, als sei gerade aus dem Nichts eine Bombe explodiert.
»Ganz ruhig, Luzie«, redete ich mir zu. »Das ist ganz normal. Tote Menschen machen ab und zu Geräusche.«
»Die Seele entweicht«, hatte Papa mir gesagt, als ich es das erste Mal gehört und mich ebenso erschrocken hatte wie jetzt. »Das ist nichts Schlimmes, sondern etwas Schönes.« Aber dann hatte die Leiche neben ihm deutlich gefurzt, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass Seelen furzen, wenn sie entweichen. Doch Papa hatte nur gelacht und gemeint, dass es sich hier wohl um eine unartige Seele handelte.
Wie auch immer – das mit den Geräuschen bedeutete nicht, dass die Toten noch lebten. Und wenn doch, hatten sie ein kleines Glöckchen im Sarg. Das gehörte zu Papas Gratisservice. Er meinte, das Glöckchen sei völlig unnötig, denn wenn jemand wisse, ob ein Mensch tot sei oder nicht, dann sei es wohl er. Aber es beruhige die Angehörigen. Manche wollten einfach nicht glauben, dass ein Toter tot sei, auch wenn Papa es ihnen zehnmal versicherte.
Doch der Sarg hinter mir stand offen. Weit offen. Wenn der tote Mensch in diesem Sarg aufwachte, brauchte er nicht am Glöckchen zu läuten. Er musste sich nur räuspern oder mir eine Hand auf die Schulter legen. Seine kalte Hand …
Hastig drehte ich mich um. Es war eine Frau. Wie fast immer. Sie musste sehr alt geworden sein. Ihr Gesicht war übersät von Furchen und Runzeln und bräunlichen Flecken. Auf ihren geschlossenen Lidern schimmerte es pflaumenblau und helllila mit einem Hauch von pinkfarbenem Glitzer – Mama hatte sich schon ans Werk gemacht. Doch die Lippen waren bleich, mehr gelb und blau als rosa. Ich erschauerte.
Trotzdem – ihr Gesicht sah friedlich aus. Friedlich und zufrieden zugleich und doch, als würde sie auf etwas warten. Mogwai begann zu fiepen und an meinem Hosenbein zu kratzen. Ich beachtete ihn nicht. Ich schaute immer noch gebannt auf das Gesicht der alten Frau, das im Flackern der Kerzen plötzlich wieder lebendig wirkte. Erneut traf ein frostiger, feuchter Luftzug meinen Nacken und es gab einen leisen Stoß. Die Tür war ins Schloss gefallen.
Einige Kerzen erloschen, und es wurde so dunkel, dass ich für einen Moment lang kaum mehr etwas erkennen konnte. Ich hätte schwören können, dass ich nicht mehr alleine war. Jemand war hier drin, bei mir und der Toten. Er war eben zusammen mit dem kalten Luftzug in den Keller gekommen und hatte die Tür zugestoßen.
»Mama?«, wisperte ich. Ich umklammerte den Sargrand: geschliffenes Holz und direkt darunter der weiche, glänzende Stoff des Innenbezugs.
Keine Antwort. Nur Mogwai begann immer höher zu japsen und zu jaulen. Unaufhörlich schabten seine Krallen an meinem Hosenbein entlang. Ich schob ihn zur Seite, doch er kam sofort zurück und fuhr fort, mich zu bedrängen.
»Wer ist da?«, fragte ich mit etwas lauterer Stimme. »Papa, Mama? Seid ihr das?«
Ich hielt den Atem an und wartete. Wieder hörte ich nichts bis auf das Summen der Kühlräume und Mogwais nervenzehrendes Winseln und Japsen. Er wollte hier raus, und verdammt, ich wollte es auch. Wer immer da auch hinter mir stand – ich musste ihn über den Haufen rennen.
Ich drehte mich um und sprang mit einem Satz zur Tür. Gut, es stand niemand hinter mir, obwohl ich ihn immer noch spürte. Doch Mama hatte nicht nur Kerzenständer aufgestellt und alles in Rosa gepackt, sondern auch eine Vase mit getrockneten Zweigen neben dem Sarg positioniert. Ich krachte mit der Vase zwischen meinen Knien auf den Boden. Sie zersprang in unzählige Scherben und die emporschnellenden Zweige zerkratzten mein Gesicht. Hinter mir schepperte es laut, aber das kümmerte mich nicht, ich wollte nur noch eines: so schnell wie möglich weg.
Ich zog mich an der Türklinke hoch und versuchte, sie herunterzudrücken. Sie bewegte sich nicht. Mogwai fing aufgeregt zu bellen an und kratzte mit den Pfoten am Türrahmen.
»Ich versuche es ja«, keuchte ich und stemmte mein gesamtes Gewicht auf die Klinke, doch wieder konnte ich sie nicht herunterdrücken. Hinter mir begann es zu knistern und zu knacken. Ich
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