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Verdammt feurig

Verdammt feurig

Titel: Verdammt feurig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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grollen. Ich hielt die Luft an. Das Grollen wurde dumpfer und drohender, bis der Untergrund zu wackeln und zu wanken anfing. Es dauerte nur ein paar Atemzüge lang, aber in diesen Atemzügen war ich starr vor Angst. Die Erde bebte. Das war ein Erdbeben! Mit einem sanften Plopp sprang die Tür auf.
    »Raus jetzt!«, brüllte Leander. »Steh auf, Luzie!«
    Ich zog mich an den verkokelten, heißen Füßen des Sarges hoch, entriegelte die Bremsen an seinen Rädern und schob ihn vor mir auf die Tür zu. Die tote Frau hatte zwar ein paar Haarbüschel und ihre Augenbrauen eingebüßt, aber ansonsten schaute sie noch ganz passabel aus, wenn man mal von ihrem extravaganten Lidschatten absah. Zusammen schoben wir den rauchenden Sarg aus der Tür und bugsierten ihn mit letzter Kraft auf die Schräge, die Papa extra für diesen Zweck neben die Treppenstufen hatte bauen lassen. Dichter Qualm schoss aus dem Keller ins Treppenhaus. Die Tür zur Straße stand bereits offen – Vitus’ Erdbeben hatte ganze Arbeit geleistet.
    Auf der rutschigen Schwelle glitt der Sarg aus meinen Händen und auch Leander konnte ihn nicht mehr stoppen. Ratternd schoss er auf den Bürgersteig und die Fahrbahn, bis er mitten auf dem Kopfsteinpflaster zum Stehen kam.
    Die Passanten schrien erschrocken auf, doch dann kurvte die Feuerwehr um die Ecke. Ich eilte zu dem Sarg und brachte die Frau heil auf die andere Straßenseite, bevor das Feuerwehrauto sie zu Schrott fahren konnte.
    »Bist du okay, Luzie? Bist du okay? Luzie, sag doch was.« Leander rüttelte an meiner Schulter und klopfte mir mit der flachen Hand auf meine Wangen.
    »Kann nicht«, brachte ich mühsam hervor und deutete auf meine Kehle. »Kratzt. Aber alles okay.«
    »Luzie, mein Schatz!« Wie eine wild gewordene Furie stürmte Mama mit ausgebreiteten Armen über die Straße. Leander ließ sich flach auf den Boden fallen und drehte sich elegant zur Seite, damit sie ihn nicht tottrampelte.
    »Luzie, es tut mir ja so leid, es tut mir so leid, oh, meine arme Kleine, ich wollte dir noch sagen, dass die Tür kaputt ist, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du so tapfer bist und uns doch helfen willst … und die Kerzen … ich dachte, es ist gemütlicher so …« Mamas Gewicht drückte mich gegen die Hauswand, und ich versuchte erfolglos, ihren schweren Kopf von meiner Schulter zu schütteln. Mit spitzen Fingern griff Leander nach ihrem Blusenkragen und zog sie ein Stück nach hinten, sodass ich wieder atmen konnte. Sie merkte es nicht einmal.
    »Ist das eine Leiche?«, fragte ein Junge, der sich auf die Zehenspitzen gestellt hatte und mit großen Augen in den offenen Sarg linste.
    »Ja, und meine Tochter hat sie gerettet! Meine kleine Tochter!«
    »Hat sie nicht«, entgegnete der Junge pampig. »Sie ist doch tot. Leichen sind immer tot. Die kann man gar nicht mehr retten.«
    Leander grinste breit. Ich konnte mich kaum an seinem Grinsen sattsehen und vor allem nicht an seinem Grübchen.
    »Bleib hier«, bat ich ihn leise. »Wenigstens heute Abend.«
    »Immer«, beteuerte Mama. »Ich bleibe immer bei dir, meine Kleine. Oh Gott, und dann noch das Erdbeben.«
    »Das Erdbeben hat mich gerettet, Mama. Durch das Erdbeben ging die Tür wieder auf.«
    Mama wimmerte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Von oben winkte Papa zu uns runter. Er sah erleichtert aus und reckte den Daumen hoch. Das Feuer war gelöscht. Es qualmte nur noch ein wenig. Ich atmete auf.
    »Sei froh, dass deine Eltern so gut versichert sind, Luzie«, sagte Leander schmunzelnd. Er lehnte sich neben mir an die Wand. »Jetzt können sie alles frisch renovieren lassen.«
    »Keine Bange, das zahlt die Versicherung«, tröstete Mama mich. Ich wusste nicht mehr, auf wen ich schauen und hören sollte. »Jetzt können wir endlich alles frisch renovieren lassen.«
    Ich lachte hustend auf, und Mama presste mich fest an sich, weil sie es für ein Schluchzen hielt. Vielleicht war es ja beides gleichzeitig.
    »Danke«, formte ich mit dem Mund in Leanders Richtung. Er zwinkerte mir nur zu. Mit meinen Augen suchte ich Vitus. Doch er war nicht mehr zu sehen.
    Dann warf ich einen Blick in den lädierten Sarg.
    Die Frau sah friedlich und entspannt aus, wie vorhin. Doch nun lächelte sie ein bisschen, nur eine winzige Veränderung in ihren grauen Mundwinkeln. Aber sie lächelte. Ein Schauer rieselte über meinen angespannten Rücken.
    »Der Meister der Zeit und ihr Wächter haben sie abgeholt«, sagte Leander dumpf. »Und dich – dich wollte er

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