Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
mir nicht davon. Nicht hingucken! Schau mich an! Und jetzt sag mir, um was für ein Buch es sich handelt.«
»Ein Buch, das außerordentlich gut zu diesem Hotel passt, immerhin wurde es hier geschrieben«, erklärte Mark nach kurzem Zögern mit einem Schmunzeln, ohne Miranda aus den Augen zu lassen.
»Mach’s nicht so spannend!«
»Also,
Tod in Venedig
von Thomas Mann.«
»Stimmt«, sagte die junge Frau vom Nachbartisch, die die Unterhaltung amüsiert verfolgt hatte.
»Ich danke Ihnen für die Bestätigung«, erwiderte Mark mit festem Blick auf Miranda.
»Du bist rehabilitiert, du alter Gauner.« Miranda schlug lachend ihre Beine übereinander.
»Nicht ganz.« Mark hatte die Augen immer noch nach vorne gerichtet.
»Warum?«
»Weil ich auch weiß, dass die junge Dame blonde Haare hat, blaue Augen, unlackierte Fingernägel, keinen Ehering, eine weiße Bluse …«
»Es reicht!« Mirandas Lachen klang jetzt etwas weniger locker.
Mark drehte sich grinsend zum Nachbartisch. Ȇbrigens, haben Sie Luchino Viscontis Verfilmung von
Tod in Venedig
gesehen?«
»Natürlich. Schon deshalb liebe ich dieses Hotel. Eine wunderbare Kulisse für einen alternden Schriftsteller …«
»… für einen alternden Komponisten«, unterbrach Mark. »Ich will damit sagen, Visconti hat aus dem Schriftsteller Gustav von Aschenbach einen Komponisten gemacht.«
»Wirklich? Aber seine erotischen Sehnsüchte waren dieselben, oder?« Die junge Frau sah Mark erwartungsvoll an.
»Erstens waren die erotischen Sehnsüchte homoerotisch, zweitens pädophil, und drittens blieben sie unerfüllt«, warf Miranda ein. »Ich finde, dieser Aschenbach war ein besonders armes Schwein!«
Mark amüsierte die Unterhaltung. »Du bist ganz schön direkt«, erwiderte er, »aber im Ergebnis hast du sicher Recht. Immerhin ist das arme Schwein, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, vor diesem Hotel im Liegestuhl gestorben.«
»Zerbrochen am Schmerz einer unerfüllten Liebe«, ergänzte die Blondine mit leichtem Timbre in der Stimme.
»Unsinn, an Cholera!«, stellte Miranda fest.
Mark schüttelte grinsend den Kopf. »Miranda, sei doch nicht so pietätlos. Diese Dame hat eben einen Sinn für große Gefühle.«
»Also, ich steh mehr auf Sex.«
»Dagegen ist natürlich auch nichts einzuwenden«, gab Mark zu und dachte erneut an die vergangene Nacht.
Einige Stunden später lag Mark am Pool des Hotel des Bains. Miranda war bereits abgereist, und er hatte zu seinem Bedauern feststellen müssen, dass die junge Frau mit dem Buch und dem viel versprechenden Hinweis auf erotische Sehnsüchte in fester Begleitung war. Allerdings hätte er heute sowieso keine Zeit mehr gehabt, und vermutlich tat ihm eine kleine Erholungspause auch gut. Aber man hätte ja die Adressen austauschen und das Gespräch bei Gelegenheit fortsetzen können. War wohl nichts! Mark nahm sein Handy, rief seine Agentin in London an und teilte Norma mit, dass er für zehn Tage eine künstlerische Pause einlege. Norma könne möglichen Kunden auch gerne sagen, dass er eine vorübergehende Schaffenskrise habe. Nein, sie könne ihn nicht erreichen. Sein Handy habe einen technischen Defekt. Aber er wolle mit ihr gerne am übernächsten Wochenende zum Essen gehen. Und ob sie noch die rot gefärbten Haare habe? Die würden ihm wirklich gut gefallen. Das war zwar gelogen, verbesserte aber ganz entschieden Normas Stimmung.
Mark beendete das Gespräch. Er sah hinüber zur Poolbar unter dem weißen Markisendach und ließ den Blick über eine antike Steinfigur hinüber zur kleinen Brücke schweifen, die über das Becken führte. Es duftete nach Lavendel. Aus dem Hotel war leise klassische Musik zu hören. Zufrieden lehnte er sich zurück. Mit halb geschlossenen Augen gab er die Telefonnummer von Roberto ein, einem italienischen Freund, der in Belluno lebte. Roberto war ein in Italien bekannter Journalist, der sich auf Themen rund ums gute Essen und Trinken spezialisiert hatte. Er schrieb Kritiken für Feinschmeckermagazine und verfasste Kochbücher und Restaurantführer.
»Hallo, Roberto, ich bin’s, Mark.«
»Sag bloß, du kannst nicht?«, erwiderte Roberto erschrocken.
»Doch, Roberto, natürlich kann ich. Es bleibt dabei.«
»Bravo. Wann wirst du hier sein?«
»Heute Abend.«
»Benissimo. Ich reserviere einen Tisch im Al Borgo, du kannst dich schon auf einen vorzüglichen Risotto freuen. Die nächsten Tage gibt’s dann nur noch trockenes Brot.«
»Ganz so schlimm wird’s hoffentlich nicht
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