Verfolgt
auch heiraten durften? Wie viele Beerdigungen mögen hier stattgefunden haben, wie viele Sonntagsgottesdienste, bei denen die Irren zappelnd in den Bänken gesessen haben? Das Dasitzen und Warten fällt mir schwer. Ich halte nach einem besseren Versteck Ausschau, aber der Gedanke an eine finstere Krypta oder andere unterirdische Gewölbe schreckt mich eher ab.
Wir können uns nicht ewig verstecken.
Wenn doch nur Dad hier wäre! Er hätte keine Angst vor Owen. Dad hat schon einiges durchgemacht und findet immer einen Ausweg, auch wenn es brenzlig wird. Aber er kann uns nicht helfen. Er sitzt im Knast, weil er ein Lügner und ein Dieb ist.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als stillzusitzen und auf Hilfe zu warten.
Da kommt jemand. Ich ducke mich unter die Bank. Jak kann es nicht sein.
»Habt euch in den Schoß der Kirche geflüchtet, was?« Mir dreht sich der Magen um. Ich spähe unter der Bank hervor. In der Tür steht Owen. Sein Umriss zeichnet sich |300| vor dem Morgenhimmel ab. Ich traue meinen Augen nicht. Wie kann das sein? Vor fünf Minuten habe ich es doch noch im Wald rufen und bellen gehört! Kos ist aufgewacht und sieht mich hellwach und ängstlich an.
»Was mach ich bloß mit dir, Lexi?« Owen spricht in freundlichem, schmeichelndem Ton. »Komm raus da und lass uns reden. Ich tu dir auch nichts.« Er scheint inzwischen wieder ganz nüchtern zu sein, jedenfalls hört er sich so an. Ich schiebe die Hocker weg und ziehe Kos zu mir herunter. Ich bringe ihn dazu, unter die Bänke zu krabbeln, unter die vorderste Bank. Aber als wir so über den dreckigen Fußboden robben, kriege ich auf einmal die Wut. Ich stelle mir vor, wie Owen mit der Knarre über uns steht. Ich lasse mich nicht so behandeln! Ich bedeute Kos, er soll bleiben, wo er ist, und trete in den Gang hinaus.
»Du nervst, Owen!«, sage ich tapfer. »Andauernd belästigst du mich. Warum lässt du mich verdammt noch mal nicht endlich in Frieden?« Eine breite Lichtbahn fällt auf den Steinfußboden.
Der Irrsinn ist vorbei. Es ist Morgen. Ich lasse mich nicht von ihm abknallen und Kos knallt er auch nicht ab!
»Was ist, Owen? Du bist nicht mehr betrunken.« Ich sehe ihm fest in das käsige, vom Suff fleckige Gesicht. Habe ich mich überschätzt? Eigentlich ist es Morgen, aber für Owen ist es noch Nacht.
»Geh nach Hause, Lexi«, sagt er. »Los, hau ab.«
»Es ist vorbei, Owen«, erwidere ich.
»Das sehe ich auch so.« Ungläubig sehe ich, wie eine |301| Frau die baufällige Kapelle betritt und sich naserümpfend umschaut.
»Paula … was machst du denn hier, zum Teufel?«
»Das wollte ich
dich
eben fragen.« Meine Mutter kommt den Gang entlang. Auf Stöckelschuhen! Die Pfennigabsätze klappern über die Steinfliesen. Sie trägt eine knallenge schwarze Jeans und das strassbesetzte rosa T-Shirt und hat überhaupt keine Angst. Noch nie im Leben habe ich mich so gefreut, jemanden zu sehen! Hinter ihr kommt Johnny rein. Meine Mutter geht einfach an Owen vorbei und nimmt mich mit besorgter Miene in den Arm.
»Ich hab mein Handy nicht gehört. Geht’s dir gut?«
Ich kann nur stumm nicken. Mir wird schlagartig bewusst, wie nass und verdreckt ich bin und dass ich in Nachthemd, Jeans und Pulli rumlaufe. Bestimmt sehe ich aus wie die letzte Pennerin. Ich habe Kos’ Blut auf der Hose und mein Haar ist zerzaust wie das einer alten Oma, die nicht mehr richtig im Kopf ist.
»Ich dachte, ihr beide steht erst nächste Woche vorm Altar«, sage ich. Jetzt, wo meine Mutter hier ist, habe ich auch keine Angst mehr vor Owen. »Hast du denn den Ring dabei?« Ich drehe mich nach ihm um, aber er ist weg.
Johnny steht in der Kapellentür und breitet die Arme aus, als wollte er sagen: »Was blieb mir anderes übrig?«
Meine Mutter schaut mich an. Sie sieht zwar ein bisschen müde aus, aber sonst ist sie tipptopp geschminkt und gestylt wie immer. »Johnny meinte, du bist irgendwo hier draußen.«
|302| »Owen …«, setze ich an.
»Vergiss ihn«, unterbricht sie mich und mustert Kos kritisch. »Er gehört ins Krankenhaus.« Ihr Blick streift erst sein Bein und dann wieder mich. »Wie du aussiehst!«
»Mum!«, sage ich empört.
»Hast recht. Entschuldigung.«
Dann verschwimmt alles ein bisschen, als wir Kos halb über das Gelände schleifen, halb tragen. Meine Mutter kann dabei nicht viel helfen, aber sie hat die Aufgabe, voranzugehen und nach Fallen Ausschau zu halten. Auf einmal bleibt sie stehen und ruft: »Was ist das?«
Sie rennt auf ihren
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