Verfolgt
unterhalten, zerquetscht mir Kos fast die Hand.
»Polisei?«, raunt er ängstlich.
»Keine Polisei«, antworte ich. »Alles gut.«
Jak redet auf Albanisch auf ihn ein, aber Kos verzieht das Gesicht und kneift die Augen zu, als wollte er Jak ausblenden. Jak ist empört. »Ich bin sein Bruder! Warum will er nicht mit mir reden?«
»Bedräng ihn nicht«, beruhige ich ihn. »Er braucht eben Zeit.« Ich gebe Dr. Paul Emilys Telefonnummer. Er soll sie anrufen und bitten, so schnell wie möglich herzukommen. Kos braucht jetzt jemanden um sich, dem er vertraut.
Das Schmerzmittel, das Dr. Paul Kos gespritzt hat, war anscheinend ziemlich stark, denn kurz darauf liegt Kos in einem sauberen Krankenhausschlafanzug (er selber ist allerdings noch ungewaschen, weil er sich nicht duschen lassen wollte) in einem schönen Einzelzimmer und schläft tief und fest. Jak und Emily sitzen an seinem Bett, warten, dass er wieder aufwacht, und halten schon mal Brote und Chips bereit.
Meine Mutter und ich gehen draußen im Park ein bisschen Luft schnappen. Man hat uns gesagt, dass die Polizei unterwegs ist und uns befragen will. Es gibt viel zu erzählen. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
|307| »Dir ist schon klar, dass das ein Riesentamtam gibt, oder?«, fragt meine Mutter.
Ich nicke. Die Strasssteine auf ihrem T-Shirt glitzern im Vormittagslicht. Meine Mutter holt ihr Handy aus der Tasche, drückt ein paar Tasten und hält es mir hin. Erst macht es ein paarmal »piep« dann hört man jemanden ängstlich fragen:
»Bist du da, Mum? Dann geh bitte ran! Mum?«
Man hört, wie eine Tür auffliegt.
»RAUS!«
»Bloß ’n bisschen schmusen, Lexi!«
»Nein. Du bist betrunken, Owen. Geh raus.«
»Aber es ist mein letzter Abend als freier Mann! Hab dich nicht so, Lexi! Du hast mich doch auch gern.«
»Ich hasse dich. Ich wünschte, du wärst tot. Verzieh dich!«
»Bloß ein Küsschen!«
Es piept wieder, dann ist die Aufzeichnung zu Ende. Das Handy hat alles aufgenommen. »Dein Verlobter kann ganz schön nerven«, sage ich nach einer Weile. Ich gebe meiner Mutter das Telefon zurück und sie nimmt meine Hand.
»Hat er dir was getan?«
Ich erzähle ihr, dass Johnny rechtzeitig reingekommen ist und dass mir nichts passiert ist.
»Gott sei Dank!«, sagt sie. »Ich mache mir solche Vorwürfe, Lexi. Ich hätte dich nicht mit ihm allein lassen dürfen.« Sie war tanzen und hat meine Nachricht erst vor |308| ein paar Stunden abgehört. Als sie mich aus der Disco zwischendurch mal angerufen hat und ich nicht rangegangen bin, hat sie sich von einer Freundin sofort die ganze Strecke von Cornwall zurückfahren lassen. Erst als sie das Haus leer und verwüstet vorgefunden hat, hat sie ihre Mailbox abgehört. Sie hat Owen und mich angerufen, aber wir sind beide nicht rangegangen. Nur Johnny konnte sie erreichen. Er hatte den Wald nach mir abgesucht, sich dabei verlaufen und ging gerade auf der Straße ins Dorf zurück. Er hat meiner Mutter erzählt, dass Owen und seine beiden Brüder besoffen und bewaffnet losgefahren seien, um den Landstreicher aufzustöbern, und dass ich auch noch auf dem Gelände sei. Meine Mutter hat sich sofort wieder ins Auto gesetzt, ihn auf der Straße aufgegabelt und dann sind beide zum alten Sanatorium gefahren.
Sie haben die Schüsse und Geschrei gehört und uns in der alten Kapelle entdeckt.
Meine Mutter schaut mich lange und eindringlich an. »Du musst dringend duschen!«, sagt sie.
Drei Wochen später.
Jak meint, die Lage im Kosovo sei weiterhin angespannt und in den Straßen patrouillieren immer noch NAT O-Sol daten , aber der Krieg ist aus und Kos soll mit nach Hause kommen. Er hat eine Großmutter und einen Bruder und beide sind bereit, mit einem jungen Mann zusammenzuleben, der drei Jahre lang praktisch nur in der Gesellschaft eines Rudels verwilderter Hunde in einer Ruine gehaust |309| hat. Sadja, die Großmutter, ist extra angereist. Sie ist eine kleine alte Frau mit einem schwarzen Kopftuch und spricht nur ein paar Brocken Englisch. Als ich ihr vorgestellt wurde, wollte sie meine Hand gar nicht mehr loslassen. Kos ist ihr nicht grade um den Hals gefallen, aber er ist auch nicht weggelaufen.
»Kostandin!«,
hat sie bloß gesagt.
Und als Kos sie gesehen hat, sagte er:
»Gjyshee, Mama-ja.«
Daraufhin ist Jak in Tränen ausgebrochen und ich musste wegschauen. Ich habe mich fehl am Platz gefühlt. Sie wohnen alle drei bei Emily, damit sie sich aneinander gewöhnen können und damit Jak
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