Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
Verwundert gehe ich die Treppe wieder hinauf bis zum Flur mit den Schlafzimmern. Als ich dort ankomme, fällt mir ein, dass Avery vielleicht auf den Dachboden gegangen ist. Bin ich bereit, ihn dort zu stören? Die Intensität seines Zorns war nur mit der seiner Leidenschaft vorhin vergleichbar. Beide habe ich an ein und demselben Tag in ihm geweckt.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich stehe auf dem Flur zwischen unseren Schlafzimmern, als ich ein Geräusch höre. Eine Tür öffnet sich. In Averys Schlafzimmer.
Aber ich war gerade dort drin. Die Tür zum Badezimmer war schon offen, und die Kleiderschränke sind begehbar. Keine Türen. Doch ich höre ein deutliches Klicken, als der Riegel eines Schlosses einrastet. Dann dringen Averys gedämpfte Schritte auf dem Teppich und Wasserrauschen aus der Dusche durch die nächtliche Stille zu mir heraus.
Unsicherheit erfasst mich. Es gibt noch eine Tür irgendwo in Averys Zimmer? Wo führt sie hin? Warum habe ich sie nicht bemerkt, als ich mich heute Nachmittag dort umgeschaut habe?
Ich stehe da wie angewurzelt und kann mich nicht entscheiden. Nach allem, was ich heute erlebt habe, traue ich meinem Instinkt nicht mehr. Ein Teil von mir will sofort in sein Schlafzimmer platzen und es auf den Kopf stellen, bis ich diese geheime Tür gefunden habe. Der andere, vernünftigere Teil fragt ständig, warum ich so etwas tun sollte. Immerhin ist dies das Haus eines Vampirs – eines alten Vampirs. Vielleicht führt die Geheimtür nur zu einer Art Safe, in dem Avery angesammelte Wertgegenstände oder Geld aufbewahrt. Welches Recht hätte ich, in so einen Raum einzubrechen? Wie sollte ich das dem Mann erklären, den ich gerade geliebt habe? Einem Mann, der mich während der vergangenen Woche mehr als einmal gerettet hat. Einem Mann, der mir vermutlich mit Leichtigkeit den Kopf abreißen könnte, wenn ich ihn noch einmal so verärgere.
Also wähle ich den Weg des geringsten Widerstands und kehre in mein Zimmer zurück. Schließlich muss Avery morgen früh wieder ins Krankenhaus. Dann kann ich herumschnüffeln, so lange ich will.
Avery weckt mich mit einem Kuss, seine Finger liebkosen mich, und wieder einmal werde ich mitgerissen. Als es vorbei ist und das rationale Denken wieder einsetzt, frage ich ihn nach Williams’ seltsamer Bemerkung.
Er räkelt sich, gähnt und blickt lächelnd auf mich herab. Ich fürchte, da musst du dich verhört haben. Ich weiß nicht, was »die Eine« oder »die Macht« bedeuten sollen. Hört sich für mich ziemlich melodramatisch an.
Aber ich schüttele den Kopf. Nein. Es war in seinem Blut. Ich kann mich nicht getäuscht haben.
Avery wendet sich von mir ab, schiebt die Bettdecke von sich und steht auf. Ich muss los. Morgenvisite.
Er beugt sich vor und streift mit den Lippen meine Stirn. Wir unterhalten uns heute Abend. Ich möchte dich zum Essen ausführen. In ein besonderes Restaurant. Wenn dir das noch nicht zu viel ist?
Ich versuche, seine Gedanken zu lesen, doch es dringt nichts zu mir durch. Ja. Das wäre schön. Aber wir müssen uns unterhalten. David –
Doch er macht eine wegwerfende Geste, und Ärger spielt um seine Mundwinkel, ehe er sich rasch wieder im Griff hat. Ich muss gehen. Ich schicke dir um acht Uhr einen Wagen.
Und bis dahin werde ich dich gar nicht mehr sehen?
Er wirft mir einen heimlichtuerischen Blick zu. Ich muss unseren Abend arrangieren. Ich glaube, das Warten wird sich lohnen.
Und dann ist er weg, hat ohne einen Blick zurück den Raum verlassen.
Heute Morgen spüre ich eine leichte Veränderung in seiner Haltung. Eine Gewissheit, dass ich ihm gehöre. Er hat es also doch in meinen Gedanken gelesen. Er hat es in der Reaktion meines Körpers gespürt.
Und es ist nur zu wahr.
Trotzdem verkrieche ich mich wieder unter der Bettdecke und warte darauf, dass er das Haus verlässt.
Kapitel 35
A ls ich sicher bin, dass Avery weg ist, nachdem ich durch das Fenster gegenüber vom Bett beobachtet habe, wie sein Auto die Auffahrt entlang verschwindet, stehe ich auf, dusche und ziehe Jeans und ein T-Shirt an. Ich höre die Haushälterin in der Küche werkeln – meine Zeit ist also begrenzt. Sie wird heraufkommen, um die Betten zu machen, wenn sie ihre Pflichten unten erledigt hat.
In mir tobt ein Kampf. Es fühlt sich vollkommen richtig an, dass ich Avery inzwischen so vertraue. Doch das Bedürfnis, alle seine Geheimnisse zu erfahren, ist überwältigend. Ich kann es nicht erklären. Ich weiß nur, dass ich sie erfahren
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