Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
brauchst sie nicht mehr, Anna. Du brauchst niemanden –«
Außer mir.
Avery öffnet mir seinen Geist, und der Sturm negativer Gefühle ist vorüber. Stattdessen sind seine Gedanken nun voller Liebe, überwältigender, absoluter Liebe. Er sitzt wieder neben mir auf dem Bett und sieht mich fragend an.
Meine Gedanken sind völlig durcheinander. Ich will zurückweichen, doch seine Gefühle sind so intensiv, dass ich mitgerissen werde. Ich liege in seinen Armen und kann nicht mehr unterscheiden, wo seine Leidenschaft endet und meine beginnt.
Ich kämpfe nicht dagegen an. Ich will nicht. Ich verstehe zwar nicht, was hier vor sich geht, aber er bietet mir das Einzige, was ich scheinbar nur in seinen Armen finden kann – Sicherheit. Ich lasse mich von ihm ausziehen, spüre, wie seine Hand eine brennende Spur über meinen Bauch zieht, meine Oberschenkel berührt und sich aufwärtstastet. Bald will ich es ebenso sehr wie er. Aber das hier ist mehr als sexuelles Begehren, und ich bin fassungslos über meine eigene heftige Erwiderung seines Drängens. Ich höre mich seinen Namen rufen, immer wieder. Und mehr.
Liebe, intensiv und unerbittlich wie eine Sturmflut, durchdringt mein Wesen.
Kann er es spüren?
Will ich, dass er es spürt?
Es ist zu spät, sich jetzt solche Gedanken zu machen. Gefangen in einem Netz aus Erregung, lasse ich mich von meinem Begehren davontragen, bis es mich in schwindelnde Höhen der Leidenschaft trägt, von denen ich bislang nichts geahnt hatte.
Kapitel 34
E rst nachdem Avery mein Bett verlassen hat, fange ich wieder zu denken an – etwas, das anscheinend unmöglich ist, solange er mich berührt. Habe ich Avery wissen lassen, dass ich ihn liebe? Hat er es in meinen Gedanken gelesen? Ich weiß nicht einmal, ob es stimmt, aber in jenem Augenblick hat es sich so angefühlt. Und es hat alle anderen Überlegungen vollständig aus meinem Verstand gedrängt. Wichtige Dinge wie die Suche nach David, die aufzugeben ich nicht bereit bin.
Wenn Avery ein Hexer wäre, würde ich glauben, dass er mich verzaubert hat. Aber Avery ist ein Vampir. Wir zaubern nicht.
Oder?
Ich schwebe an diesem Punkt zwischen Wachen und Schlafen, als etwas Wichtiges durch meinen Kopf schießt wie ein Blitz. Ich bin hellwach. Es ist etwas, das Williams gesagt hat und wonach ich Avery fragen sollte. Die Sache mit »Du bist die Eine«. Das ist nach dem Vorfall mit Williams und allem, was danach kam, einfach untergegangen.
Jetzt kann ich ihn ja fragen.
Ich werfe die Bettdecke zurück und schlüpfe in den Morgenmantel, den Avery mir hingelegt hat. Er ist in sein eigenes Bad gegangen, um zu duschen, und als ich an seiner Zimmertür klopfe und keine Antwort bekomme, trete ich trotzdem ein. Ich warte eben hier, bis er fertig ist.
Doch die Badezimmertür ist offen, und ich höre keine Dusche rauschen. Ich tapse hinüber. Vielleicht nimmt er ja ein Bad. Erst vorgestern hat er mich in meiner Wanne aufgesucht. Da ist es nur höflich, den Besuch zu erwidern.
Aber die Dusche ist ebenso leer und trocken wie die Badewanne. Ist er vielleicht hinuntergegangen, um etwas zu trinken? Ich will gerade meine geistigen Fühler ausstrecken und nach ihm suchen, als mir einfällt, dass das hier nicht funktionieren wird – dieses verdammte weiße Rauschen. Ich werde ihn also auf die altmodische Tour suchen müssen.
Es ist dunkel und still im Haus. Meine vampirische Nachtsicht erlaubt mir, genug zu sehen, ohne Licht einzuschalten, und ich gehe hinunter ins Wohnzimmer. Die Überreste des zersplitterten Couchtischs sind weggeräumt. Ich nehme an, Avery hat sich darum gekümmert, bevor der Krankenwagen kam. Nicht eine einzige Glasscherbe weist auf den Kampf hin, der hier stattgefunden hat.
Ich schaudere. Ich bin noch nicht bereit, mich dem zu stellen, was ich Williams angetan habe, denn trotz allem, was Avery gesagt hat, weiß ich, dass es meine Schuld ist. Williams hatte solche Angst vor mir, dass er sich in eine Starre versetzt hat, einen Zustand vorübergehenden Stillstands, aus dem er vielleicht nie wieder erwachen wird. Es ist mir unbegreiflich, wie ein Neuling eine so starke, alte Seele zu solcher Verzweiflung treiben konnte.
Doch diesen Gedanken schiebe ich nun beiseite. Ich muss Avery finden. Vielleicht kann er mir helfen, das Rätsel von Williams’ Worten zu lösen. Allein schaffe ich das nicht.
Meine Suche in der Bibliothek und in der Küche bleibt erfolglos. Avery ist nirgendwo im Erdgeschoss und auch nicht auf der Terrasse.
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