Verfuhrt auf dem Maskenball
denn nur wenige Besucher sprachen vor, und ebenso selten gab es Einladungen. Es stellte sich ihnen nur ein einziges Problem, und das war Rory, der einmal zu Besuch kam, im Mai, kurz bevor er nach London ging. Man sagte ihm, dass Anna nach Hause zurückgefahren war, und Eleanor ließ keinen Zweifel daran, dass sie seine Gesellschaft nicht benötigte, denn ihre Nichte war ja bei ihr. Er blieb nur einen Tag und war sichtlich verwirrt, dass seine Tante sich so gar nicht für ihn interessierte, dennoch glaubte Lizzie nicht, dass er einen Verdacht hegte. Er schien unverändert heiter, und als er abfuhr, winkte er und versprach lächelnd, im Sommer zurückzukehren.
Das Kind kam Mitte Juli zur Welt. Beinah die ganze Nacht hatte Anna in den Wehen gelegen, und Lizzie war ihr nicht von der Seite gewichen. Die Sonne war gerade aufgegangen, und Tageslicht drang durch die halb geschlossenen Vorhänge herein, als die örtliche Hebamme Anna befahl, es noch einmal zu versuchen. „Komm schon, Kleine, du kannst jetzt nicht aufhören. Der Kopf ist schon draußen …“
„Pressen, Anna!“, rief Lizzie, die überwältigt war von dem Ereignis, dem sie hier beiwohnte. Nie zuvor hatte sie eine Geburt miterlebt. Der Kopf des Babys war zu sehen, und das erschien Lizzie wie ein Wunder.
Anna weinte und versuchte noch einmal mit aller Kraft, das Kind zu gebären. Lizzie legte ihr eine frische kalte Kompresse auf die Stirn. „Gib nicht auf. Gleich ist es vorbei. Fester pressen, Anna!“
„Ich kann nicht“, rief Anna, und in demselben Moment wurde das Kind geboren.
Lizzie sah, wie die Hebamme das Baby hochnahm, und notierte im Geiste, dass es zwei Beine, zwei Füße, zwei Arme und zwei Hände hatte. „Du hast es geschafft, Anna“, sagte sie und streichelte die Stirn ihrer Schwester. „Du hast einen wunderschönen Jungen. Einen Sohn!“
„Ja? Oh, wo ist er?“ Anna konnte kaum noch die Augen offen halten.
Lizzie lächelte ihr zu, als die Hebamme sagte: „Mylady, Sie haben wirklich einen schönen Sohn. Er scheint bei bester Gesundheit zu sein.“
Anna lachte müde und griff nach Lizzies Hand.
Innerlich zuckte Lizzie zusammen, als ihre Finger sich berührten. Seit dem Tag, an dem Anna ihr gesagt hatte, wer der Vater des Kindes war, hatte sie ihr Bestes getan, um Annas Verrat zu vergessen. Doch ein leichtes Unbehagen war geblieben. Es war unmöglich, dass ihre Beziehung sich nicht verändert hatte. Nie würde Lizzie ihre Schwester im Stich lassen, und sie würde auch niemals aufhören, sie zu lieben, aber manchmal war sie in ihren Träumen allein im Dunkel, suchte nach ihrer Schwester und fand sie nicht. Und in diesen Träumen erschien dann Tyrell, so verführerisch wie immer, und streckte die Hand nach ihr aus.
Lizzie schob diese Gedanken beiseite, lächelte und drückte Annas Hand. Anna erwiderte ihr Lächeln, dann schloss sie erschöpft die Augen. Lizzie bemerkte, dass die Hebamme sich an das wartende Mädchen wandte. „Nein!“, rief sie plötzlich, trat hastig vom Bett weg und nahm die Decke, die das Mädchen hielt. Rasch schloss sie Annas Sohn in die Arme und hüllte ihn in die Decke.
Er öffnete die Augen und sah sie an. Seine Augen waren ungewöhnlich blau.
Lizzie schien es, als bliebe ihr Herz stehen, während sie das winzige Geschöpf betrachtete, das schönste, das sie je gesehen hatte. Tyrells Sohn . Wie aus der Ferne hörte sie die Hebamme sagen, dass das Kind sorgfältig gesäubert werden musste. Lizzie fühlte etwas in sich wachsen und erblühen, bis es sie ganz ausfüllte. Und dann schien das Kind ihr zuzulächeln.
Während Lizzie alles andere um sich herum vergaß und das Kind fest an sich presste, erwiderte sie sein Lächeln. Sie hielt Tyrells Sohn im Arm und war sich dessen deutlich bewusst. Alle Neugeborenen hatten blaue Augen, aber die Augen dieses Jungen besaßen das ganz besondere strahlende Blau der de Warennes, er hatte den dunklen Teint seines Vaters und auch dessen dunkles Haar. Ich halte Tyrells Sohn im Arm.
Das Baby wandte den Blick nicht von ihr ab, sah sie aufmerksam an.
Und während sie ihn so hielt, wurde Lizzie klar, dass sie nie zuvor jemanden so sehr geliebt hatte. „Wie schön du bist, mein kleiner Liebling“, flüsterte sie. „Du wirst einmal genauso aussehen wie dein Vater, nicht wahr?“
Das Kindermädchen wischte dem Baby übers Gesicht. „Ja, er ist ein hübscher kleiner Junge“, sagte sie und lächelte dabei. „Seht nur diese Augen. Und er ist hellwach.“
„Ja“,
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