Vergangene Narben
nicht voneinander zu unterscheiden. Zwillinge eben.
Ich sah zur Haustür, entdeckte Cheyenne dort, die uns mit verschränken Armen beobachtete. In ihrem Blick lag ein Frieden, der sich erst in den letzten Wochen nach und nach eingestellt hatte. Nicht nur dass sie jetzt keine Gejagte mehr war, die sich vor dem Rudel verstecken musste, Naomi hatte sie auch als persönliche Assistentin angestellt, damit sie die zukünftige Königin unterstützen konnte. „Wir müssen bald los“, teilte sie uns mit.
„Na dann.“ Papa klopfte sich einmal auf die Knie, und erhob sich dann, wartete einen Moment, bis ich aufstand, doch ich blieb sitzen. „Kommst du?“
„Gleich. Geht schon mal vor.“
Er sah von mir zu Cheyenne, und setzte sich dann auch nur in Bewegung, weil Mama ihn grob in die Kniekehlen vorwärts stieß – ja ja, so einem Leopard hatte man nicht unbedingt etwas entgegenzusetzen. Er protestierte, verschwand mit ihr dann aber im Haus, und zurück blieben Cheyenne und ich. Nur leider war die Stimmung zwischen uns immer noch ein wenig angespannt.
Seit sie mich damals im Korridor von Geros Hotel geschlagen hatte, waren wir nicht mehr alleine gewesen, und das wurde ihr in diesem Moment wohl genauso klar wie mir. Ein Anflug von Trauer und Schuldgefühlen legte sich über ihre Augen.
Ich wusste dass sie ihre Tat bereute, verstand, dass sie sich nicht immer unter Kontrolle hatte. Erst recht nicht, wenn sie unter so starkem Stress stand. Und trotzdem fiel es mir schwer ihr wieder blind zu vertrauen. Aber es gab da etwas, dass ich ihr unbedingt sagen wollte. Eigentlich wollte ich es ihr bereits seit zwei Monaten sagen, doch irgendwie hatte es sich nie ergeben – kein Wunder bei einem Haus voller Leute. Und das einzige Mal als ich die Möglichkeit gehabt hatte, hatte ich feige den Rückzug angetreten.
Aber das würde uns nicht weiter bringen. Sie war die Frau die mir das Leben geschenkt hatte, und natürlich war sie nicht so perfekt, wie ich es mir früher immer ausgemalt hatte. Niemand war perfekt, jeder hatte seine Fehler. Das schloss nicht nur sie, sondern auch mich mit ein. Deswegen war ich es, die die drückende Stille zwischen uns als erstes durchbrach.
„Weißt du, als das alles passiert ist, da habe ich mir mehr als einmal gewünscht, dass ich damals auf Papa gehört hätte, und niemals hierher gefahren wäre.“
Das waren wohl nicht die Worte, die sie erwartet hatte. Ihre Mine wurde noch bekümmerter. „Das tut mir leid zu hören.“
„Ja.“ Ich richtete meinen Blick auf den vollen Mond. „Aber weißt du, Papa hat da eben etwas gesagt, bei dem ich ihm nur zustimmen kann. Selbst aus einer Tragödie kann noch etwas Gutes entstehen.“
Ich lauschte auf ihrem Atem, auf die vorsichtigen Schritte, und das Wispern ihrer Kleidung, als sie sich neben mich auf die Bank sinken ließ.
„Vieles von dem was geschehen ist, hätte ich lieber nicht erlebt, und doch bin ich heute froh, dass ich es getan habe. Nur deswegen habe ich heute dich, und Ayden, und die Zwillinge.“
„Und Cio nicht zu vergessen.“
Ich lächelte sie an. Ja, Cio, mein Cio bis in alle Ewigkeit. „Selbst Sydney mag ich, obwohl seine Augen mir manchmal Angst machen.“
„Weil sie den Wolf zeigen?“
„Nein, weil ich immer das Gefühl habe, von ihm durchleuchtet zu werden. Wenn er mich ansieht, denke ich immer, er kann bis auf meine Seele blicken.“
Das ließ sie schmunzeln. „Oh, ich weiß ganz genau was du meinst. Weißt du, genau das gleiche habe ich auch gedacht, als ich ihn damals kennenlernte. Manchmal habe ich sogar gedacht, er könnte meine Gedanken lesen, weil er immer das aussprach, was mir gerade durch den Kopf ging.“
„Gruselig“, kommentierte ich.
Sie grinste mich an. „Dabei war es einfach nur die Gabe des Beobachtens, die er so gut beherrscht. Er hat eine unglaubliche Menschenkenntnis, und kann anhand einfachster Körpersprache lesen, wer sein gegenüber ist. Einmal, da hat er ein Gedicht für mich verfasst, dass mich so aus der Bahn geworfen hat, dass es mich mehrere Tage nicht in Ruhe ließ. Er hatte den Kern dessen entdeckt, was mit mir los war, und dass alles nur, weil er mich wirklich
gesehen
hat. Mich, und nicht den rebellischen Teenager, der sich von der Welt verraten fühlte.“
Naja, ich konnte schon verstehen, dass sie sich damals so gefühlt hatte. Wenn ich nur an die Geschichten dachte, dann war ich froh, dass mein Vater mir von klein auf alles erzählt hatte. Aber jetzt gerade interessierte mich
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