Vergangene Schatten
Carly eilte ohne zu zögern hinauf. Matt folgte ihr mit mürrischer Miene.
Das sanfte gelbe Licht auf der Veranda war warm und einladend. Sandra hatte die Vorhänge nicht zugezogen, und Carly stellte fest, dass das Wohnzimmer von der Veranda aus elegant und freundlich wirkte. Selbst das aus der Nähe eher finster wirkende Porträt ihres Urgroßvaters sah von hier draußen recht anheimelnd aus. Es sah ganz so aus, als hätte Sandra jede Lampe im Haus eingeschaltet, was aber kein Wunder war. Erst jetzt wurde Carly bewusst, dass Sandra wahrscheinlich ganz allein zu Hause war, als die Nacht hereinbrach.
Sie zog ihre Schlüssel aus der Tasche, und er nahm sie ihr ohne zu fragen aus der Hand, fand sofort den richtigen Schlüssel und sperrte die Tür auf. Als er aufmachte und einen Schritt zurücktrat, um sie eintreten zu lassen, ging das blecherne Summen der Alarmanlage los.
Okay, was das betraf, hatte Matt Recht gehabt; die Alarmanlage gab ihr tatsächlich ein Gefühl der Sicherheit. Genauso wie die Nägel, mit denen sie die Fenster im ersten Stock gesichert hatte.
Hugo hockte auf dem Schrank bei der Tür und wedelte mit dem Schwanz. Carly hob ihn hoch und wandte sich Matt zu, der hinter ihr eintrat.
»Gute Nacht«, sagte Carly mit Nachdruck.
Das Licht des Kronleuchters im Flur fiel auf sein finsteres Gesicht, so dass er etwas Bedrohliches an sich hatte, wie er aus verengten Augen und mit zusammengekniffenem Mund auf sie hinunterblickte. Sie kannte ihn jedoch zu gut, um sich noch von ihm einschüchtern zu lassen. Netter Versuch, dachte sie. »Ich wünsch dir noch eine angenehme Nacht.«
»Weißt du was, Curls? Du bist eine richtige Nervensäge«, erwiderte er mit hartem Blick und leiser Stimme.
Sie kannte diesen Gesichtsausdruck und diese Stimme genau. Er war drauf und dran, die Beherrschung zu verlieren. Nun, umso besser. Sie hatte die ihre schon vor einer halben Stunde verloren.
»Und was bist du?«, fragte sie, als sein Handy erneut klingelte.
»Verdammt noch mal, hört denn das gar nicht mehr auf«, knurrte er und zog das Handy aus der Tasche. »Bin schon unterwegs«, murmelte er und beendete das Gespräch gleich wieder.
»Ich habe keine Zeit für das hier«, sagte er mit finsterer Miene. »Nicht heute Nacht. Wir sehen uns morgen.«
»Das wird sich zeigen«, sagte Carly und war sich bewusst, dass sie sich ein klein wenig kindisch benahm. Matt warf ihr noch einen kurzen Blick zu, ehe er sich abrupt umdrehte und hinausging. Sie schloss die Tür hinter ihm und eilte dann mit Hugo in den Armen in die Küche. Sie wusste nicht, wie lange der Wortwechsel mit Matt gedauert hatte, aber sie hatte bestimmt nicht mehr viel Zeit, bevor der Alarm losging.
Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, setzte Hugo nieder und tippte den Code ein. Der Warnton verstummte, sie stellte die Alarmanlage neu und sah sich um. Im Spülbecken lag noch Geschirr, doch ansonsten war die Küche aufgeräumt. Die Hintertür war versperrt. Die Vorhänge waren zugezogen. Einen Moment lang stand sie, auf die Arbeitsplatte gestützt, da und atmete tief durch, um alle Gedanken an das Desaster der vergangenen Stunden zu verdrängen, bevor Sandra sie sah und sofort gewusst hätte, dass irgendetwas Bedeutsames mit ihr und Matt geschehen war.
Gott, hatte sie etwa alles vermasselt?
Die Sache mit dem tollen Sex war leider total in die Hose gegangen. Irgendwann in der Hitze des Gefechts war ihr ein kleines ich liebe dich, Matt entschlüpft, und jetzt wusste er Bescheid. Und das Schlimmste war, dass sie ihm Leid tat.
Carly stöhnte frustriert auf. Nein, sie ertrug es einfach nicht, auch nur daran zu denken. Sie ging zum Kühlschrank hinüber, öffnete ihn und blickte hinein. Es wurde ihr bewusst, dass sie das Abendessen ausgelassen hatte. Stattdessen hatte sie Sex gehabt - aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Der Inhalt des Kühlschranks, der ihr eben noch verlockend erschienen war, reizte sie plötzlich überhaupt nicht mehr. Außerdem war sie sowieso nicht hungrig. Sie hatte weiche Knie und fühlte sich ziemlich matt. Sex konnte einen ganz schön müde machen - zumindest mit Matt war es so.
Es war ein einziges Feuerwerk gewesen.
Nein, nicht daran denken, sagte sie sich entschlossen und nahm sich eine Tüte Orangensaft. Sie schenkte sich ein Glas ein, trank einen Schluck und stellte die Tüte wieder in den Kühlschrank zurück. Jetzt musste sie erst einmal ihren Blutzuckerspiegel anheben, dann würde sie sich nicht mehr so fühlen, als wäre
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