Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Flug.
»Grüß Oma und Opa von mir«, sagt Dave zu Jake, als sie zur Ausweiskontrolle kommen.
»Okay.«
»Wir sehen uns Heiligabend«, sagt Dave.
»Bist du da, wenn ich die Geschenke auspacke?«, fragt Jake.
»Versprochen«, erwidert Dave. »Ich bin da, wenn du die Geschenke auspackst.«
»Hab dich lieb«, sagt Jake.
»Ich dich auch«, erwidert Dave.
Dave wendet sich an Diana. »Ruf mich an, wenn ihr in Chicago seid, ja?«
»Mach ich.«
»Okay, dann guten Flug.« Er umarmt sie und küsst sie sanft auf die Lippen. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich «, sagt Diana. »Sehr.«
Sie drückt seine Hand, dann überreicht sie dem Sicherheitsbeamten die Bordkarten.
Dave bleibt stehen, bis beide durch die Kontrolle gegangen und um die Ecke verschwunden sind.
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Martin Peterson beendet die Vorflugkontrolle.
Peterson kennt die Maschine – eine Boeing 747-400 mit vier Pratt & Whitney 4056-Turbofan-Triebwerken. Er kennt sogar genau diese Maschine – Luftfahrzeugkennzeichen N83228 – er ist sie schon häufiger geflogen. Sie ist circa zwölf Jahre alt, bei einer Lebenserwartung von ungefähr zwanzig Jahren liegt sie altersmäßig also im Mittelfeld.
Das Baujahr eines Flugzeugs ist aber gar nicht entscheidend. Worauf es wirklich ankommt, sind die Anzahl von Starts und die Flugmeilen, und von einer 747 erwartet man, dass sie 20 000 erstere und 600 000 letztere schafft. Auch setzen ihr weniger der Aufstieg oder das Fliegen an sich zu als der ständige Wechsel des Kabineninnendrucks, durch den sich der Rumpf bei jedem Flug vorübergehend um mehrere Zentimeter dehnt, was das Material ermüden und an den Vernietungen kaum erkennbare Spalten entstehen lässt.
Die 747 ist eine Höllenmaschine, sie besteht aus über sechs Millionen Einzelteilen und fast 30 000 Metern Kabel. Der Flugzeugrumpf ist siebzig Meter lang, die Flügelspannbreite beträgt 65 Meter und die maximale Reisefluggeschwindigkeit 507 Knoten. Die N83228 wiegt leer knapp über 180 Tonnen, mit Besatzung, Gepäck und Passagieren aber fast das Doppelte.
Der Flug ist komplett ausgebucht – 23 Passagiere in der First Class, 78 im Businessbereich und 315 zusammengepfercht in der Holzklasse. Das sind 416 Menschen, denkt Peterson, für die ich verantwortlich bin.
Wie Chirurgen und Strafverteidiger leiden auch Piloten unter einem Gott-Komplex.
Peterson ist die Checkliste bereits durchgegangen. Die Bremse ist gezogen, die Schubhebel zurückgefahren, die Treibstoffzufuhr unterbrochen. Er überprüft noch einmal das Kraftstoffniveau – heute Morgen hatte die N83228 72,5 Tonnen Kraftstoff in den beiden Tragflächentanks. Der große Zentraltank ist fast leer – nur die üblichen 190 Liter für den relativ kurzen Flug nach Chicago sind noch drin.
Jetzt überprüft er auch noch einmal die Flugkontrollinstrumente. Die Bordelektronik ist eingeschaltet, die Flugsteuerung » free and correct «, der Fahrwerkshebel steht auf » down «, die Landeklappen sind ausgefahren.
»ATIS?«, fragt er seinen Co-Piloten Ted Tarbet, der die Maschine nach Paris weiterfliegen wird.
Tarbet hat beim Wetterdienst nachgefragt. Ein kalter aberklarer Tag – auf der Strecke sind keine Gewitter oder Turbulenzen zu erwarten. Peterson kennt Tarbet gut, sie sind schon häufig zusammen geflogen. Sein Co-Pilot ist ein ruhiger und besonnener Profi mit einem großartigen Sinn für Humor.
Es verspricht, ein guter, reibungsloser Flug zu werden.
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Abdullah Aziz nimmt einen Schluck süßen weißen Tee aus seiner dampfend heißen Tasse.
Er sitzt in einem Café gegenüber dem Hamburger Hauptbahnhof und blickt auf die Uhr an dessen neugotischem Turm.
Fast ist es so weit.
Er hat sich bewusst für diesen Ort entschieden, für den meistfrequentierten Personenbahnhof Deutschlands. Täglich passieren ihn 450 000 Menschen, und Aziz ist lediglich einer von ihnen. Im konservativen blauen Nadelstreifenanzug – schön geschnitten, aber nicht auffallend teuer – sieht er wie jeder andere junge Geschäftsmann aus: kurze schwarze Haare, den Bart bis auf ein paar stylische Stoppeln gestutzt (Allah wird es ihm verzeihen, schließlich dient es dem Dschihad).
Das haben Osama und die anderen falsch gemacht, denkt er. Sie sind von der klassischen Maxime abgewichen, derzufolge ein Terrorist wie ein Guerillakämpfer in einem Meer von Menschen schwimmen soll.
Ein Fisch unter tausenden von Fischen.
Immer in Bewegung, wie ein Hai.
So lange Osama in Bewegung blieb, war er unsichtbar – kaum war er
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