Vergessene Welt
Sand. Aus der Luft wirkte sie wie ein Felsen oder
vielleicht ein großer Haufen Tang. Die Masse war amorph und hatte einen
Durchmesser von etwa anderthalb Metern. Im Umkreis waren viele Fußabdrücke zu
sehen.
»Wer war hier?«
fragte Levine seufzend.
»Die Leute vom
Gesundheitsdienst haben es heute vormittag besichtigt.«
»Was haben sie
gemacht?« fragte er. »Es angerührt, irgendwas verändert?«
»Das weiß ich
nicht«, erwiderte Guitierrez.
»Der
Gesundheitsdienst«, wiederholte Levine kopfschüttelnd. »Was wissen die denn
schon. Du hättest sie gar nicht in die Nähe lassen dürfen, Marty.«
»He«, entgegnete
Guitierrez. »Ich regiere dieses Land nicht. Ich habe alles getan, was in meiner
Macht stand. Sie wollten es zerstören, ohne auf dich zu warten. Wenigstens habe
ich es hingekriegt, daß es bis zu deiner Ankunft intakt geblieben ist. Aber ich
weiß nicht, wie lange sie noch warten werden.«
»Dann machen wir
uns besser an die Arbeit«, sagte Levine. Er schaltete sein Mikro ein. »Warum
kreisen wir noch? Es wird schon dunkel. Landen Sie jetzt sofort. Ich will mir
das Ding aus der Nähe ansehen.«
Richard Levine lief über den Sand auf
die dunkle Masse zu, das Fernglas baumelte ihm vor der Brust. Schon aus der
Entfernung konnte er den Verwesungsgestank riechen. Und noch im Laufen prägte
er sich erste Eindrücke ein. Der Kadaver war fast bis zur Hälfte in den Sand
eingesunken, eine dichte Fliegenwolke umschwirrte ihn. Die Haut war vom Faulgas
aufgebläht, was die Identifikation erschwerte.
Ein paar Meter
vor dem Tier blieb er stehen und holte seine Kamera hervor. Sofort kam der
Pilot zu ihm gelaufen und drückte ihm den Arm nach unten. »No permitido.«
»Was?«
»Es tut mir
leid, Señor. Fotografieren ist nicht gestattet.«
»Warum denn
nicht?« fragte Levine. Er wandte sich an Guitierrez, der über den Strand auf
sie zugetrabt kam. »Marty, warum keine Fotos? Das könnte ein wichtiger –«
»Keine Fotos«,
wiederholte der Pilot und nahm Levine die Kamera aus der Hand.
»Marty, das ist
doch verrückt.«
»Fang erst
einmal mit deiner Untersuchung an«, sagte Guitierrez und unterhielt sich dann
auf spanisch mit dem Piloten, der scharf und wütend antwortete und heftig gestikulierte.
Levine sah einen
Augenblick zu und wandte sich dann ab. Zum Teufel damit, dachte er. Die können
sich noch ewig streiten. Bewußt durch den Mund atmend, eilte er weiter. Der Gestank
wurde stärker, je näher er dem Tier kam. Ihm fiel auf, daß trotz der Größe des
Kadavers keine Vögel, Ratten oder andere Aasfresser an ihm nagten. Es gab nur
Fliegen – in solchen Schwaden, daß sie die ganze Haut bedeckten und den Umriß
des toten Wesens verhüllten. Trotzdem war deutlich zu sehen, daß es ein Tier
von beachtlicher Größe gewesen war, etwa wie eine Kuh oder ein Pferd, bevor die
Gasaufblähung es noch vergrößerte. Die von der Sonne ausgetrocknete Haut war
aufgeplatzt und schälte sich ab, eine Schicht schmieriges gelbes Unterhautfett
war darunter zu erkennen.
Und wie das
stank! Levine verzog das Gesicht. Er zwang sich näher zu treten und richtete
seine ganze Aufmerksamkeit auf das Tier. Obwohl es die Größe einer Kuh hatte,
war es eindeutig kein Säugetier. Die Haut war haarlos. Sie schien ursprünglich
grün gewesen zu sein, mit dunkleren Streifen dazwischen. Die Epidermis wies vieleckige
Knötchen unterschiedlicher Größe auf, das Muster erinnerte entfernt an das
einer Echse. Die Oberflächenbeschaffenheit war je nach Körperteil verschieden,
am Unterbauch schienen die Knötchen großflächiger und weniger scharf umrissen
zu sein. An Hals, Schultern und Hüftgelenken waren deutliche Hautfalten zu sehen
– auch das wie bei einer Echse.
Aber für eine
Echse war der Kadaver geradezu riesig. Levine schätzte das Lebendgewicht des
Tiers auf etwa 100 Kilogramm. Nirgendwo auf der Welt gab es Echsen, die so groß
wurden, höchstens die Komodo-Warane in Indonesien. Warane waren über drei Meter
lange krokodilähnliche Echsen, die sich von Ziegen und Schweinen und gelegentlich
auch von Menschen ernährten. Doch Warane gab es nirgendwo sonst auf der Welt.
Natürlich war es auch möglich, daß dieses Tier zu den Leguanen gehörte. Leguane
gab es in ganz Südamerika, und die marinen Leguane konnten ziemlich groß
werden. Trotzdem wäre dieses Tier ein Exemplar von Rekordgröße.
Levine ging
langsam um den Kadaver herum zum Kopfende des Tiers. Nein, dachte er, das ist
keine Echse. Der Kadaver lag auf der
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