Vergiftet
Henning zurück in die Gegenwart, er sieht sich um.
Pulli holt etwas hervor, das wie ein Stift aussieht. »Ich habe Diabetes, wissen Sie, muss mehrmals am Tag spritzen.«
Pulli schiebt sein Oberteil ein Stück nach oben, presst den Stift auf seinen Bauch und drückt oben auf den Knopf.
»Tut das weh?«, fragt Henning.
»Man gewöhnt sich daran«, antwortet Pulli und steckt den Stift zurück in die Brusttasche. »Inzwischen spüre ich es nicht mehr.«
»Ist das wie mit Piercings? Wenn ich richtig informiert bin, hatten Sie davon doch ein paar, bevor Sie in der Immobilienbranche angefangen haben?«
»Ja, wenn Sie so wollen, kann man das vergleichen.«
Sie lächeln sich kurz an.
Es klopft an der Tür. Nordbø steckt den Kopf herein. »Sie sollten dann zum Schluss kommen«, sagt er entschuldigend.
»Okay«, antwortet Henning und sieht Pulli an. Die Ringe unter seinen Augen sind noch dunkler geworden. »Wir sollten uns noch einmal treffen – ich habe längst nicht alles verstanden.«
»Es wird in den nächsten Tagen einigen Medienrummel geben, aber ja – wir müssen uns wieder treffen.«
Sie stehen auf und geben sich die Hand, ehe Henning auf demselben Weg, den er gekommen ist, wieder nach draußen begleitet wird. Genau wie Egon Olsen tritt er hinaus in die Freiheit und spürt, wie gut es tut, nicht mehr nur Betonwände um sich herum zu haben.
30
Thorleif nimmt seinen Blick von den Hausdächern hinter dem Küchenfenster und mustert Elisabeth, die ihm gegenüber am Tisch sitzt und ihn fragend ansieht.
»Gibst du mir das Salz?«
Thorleif reicht ihr das Schälchen mit dem Maldonsalz, ehe sein Blick wieder aus dem Fenster schweift. Er sieht nichts. Allenfalls etwas Grau. Um ihn herum klirren Besteck und Teller, die Kinder kleckern.
»He, sag mal, auf welchem Stern befindest du dich eigentlich?«
Er dreht sich wieder zu Elisabeth um.
»Du hast während des ganzen Essens kein Wort gesagt.«
»Ja, ich … Ich habe keinen Hunger.«
»Ach ja, und weil du keinen Hunger hast, kannst du auch nicht mit uns reden?«
Ihr Blick bohrt sich in ihn.
»Ich fühle mich nicht so gut«, antwortet er kleinlaut und sieht ihr in die Augen, aber das scheint ihre Stimmung nicht zu heben. Vielleicht sieht sie ihm seine Lüge auch an. Obwohl er ja eigentlich gar nicht die Unwahrheit sagt. Er fühlt sich wirklich elend. Sein Magen rumort konstant, und alles, was er sich in den Mund schiebt, wirkt wie Öl in dem Feuer, das in seinem Inneren brennt. Seit er nach Hause gekommen ist, war er bereits drei Mal auf der Toilette. Und vorher in der Arbeit vier Mal.
Es hat nichts genützt, dass er, bevor er nach Hause gegangen ist, all seinen Mut zusammengenommen und die Nummer von Anthon Ravndal gewählt hat. Er weiß nicht, was er glauben soll. Ist Ravndal der Schwedisch sprechende Osteuropäer oder der Mann, der ihn vor ein paar Tagen mit seinem Auto verfolgt und später mit Elisabeth gesprochen hat?
»Sind Sie der Besitzer eines BMW Kombi mit der Nummer BR 65607?«
»Äh, ja? Warum? Haben Sie ihn gefunden?«
Ravndals Stimme klang mit einem Mal nicht mehr skeptisch, sondern erwartungsvoll.
»Wieso gefunden, was meinen Sie?«
»Mein Auto wurde vor vier Tagen gestohlen. Sind Sie von der Polizei?«
»Gestohlen?«
»Ja, es wurde … Wer sind Sie überhaupt? Wie ist Ihr Name?«
Thorleif hätte am liebsten aufgelegt, brachte es aber nicht übers Herz, weshalb er sich schließlich vorstellte und dem Mann erklärte, wo er den Wagen zuletzt gesehen hatte. Über seinen Verdacht sagte er aber nichts.
»Das Auto kann inzwischen irgendwo in Zentraleuropa sein«, sagte Ravndal. »Die Polizei weiß nur, dass es eine Mautstation im Bezirk Vestfold passiert hat.«
Bevor sie das Gespräch beendeten, vereinbarten sie, sich gegenseitig zu unterrichten, sollten sie etwas über den Verbleib des Wagens erfahren.
»Dieser Typ, der dich interviewt hat«, sagt Thorleif und unterbricht Julie mitten in einer Geschichte über ein Zahlenspiel aus dem Kindergarten. »Hat der sich dir vorgestellt?«
Elisabeth sieht ihn an.
»Ich kenne ein paar Leute bei der Aftenposten «, erklärt er, »vielleicht ist er ja einer von ihnen.«
»Ich weiß nicht. Wenn er sich mir vorgestellt hat, erinnere ich mich nicht mehr daran«, antwortet Elisabeth.
»Und du weißt auch nicht mehr, wie er ausgesehen hat?«
»Hm, ich weiß nur noch, dass er groß war und dunkle Haare hatte. Der sah ein bisschen aus wie Furio in Die Sopranos .«
»Der Italiener mit dem
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