Vergiftet
glaubwürdig an.«
»Ich weiß. Ich habe aber keine Erklärung dafür.«
»Und Sie sind ganz sicher, dass Sie pünktlich waren?«
»Ja, verdammt. Ich komme nie zu spät zu Verabredungen und ganz sicher nicht zu einem so wichtigen Treffen.«
»Aber trotzdem«, sagt Henning. »Neunzehn Minuten. Das ist ziemlich viel Zeit.«
»Ja, ja … ich weiß. Aber ich versichere Ihnen: Jocke war tot, als ich dort ankam. Ich habe vielleicht ein bisschen Zeit gebraucht, um mich zu versichern, dass er wirklich tot war. Vielleicht sind da ja die Minuten geblieben.«
Henning nickt langsam und sieht ihn an. Er sieht ehrlich aus, denkt Henning und entscheidet sich, das Gespräch unter Pullis Prämissen fortzusetzen.
»Sie haben sich bestimmt viele Gedanken darüber gemacht, wer dahinterstecken könnte.«
»O ja, ich habe das gesamte Archiv durchstöbert«, sagt Pulli und klopft sich mit dem Zeigefinger an den Kopf. »Ich habe mit Sicherheit viele Feinde, aber ich bezweifle stark, dass einer von denen klug genug für ein solches Doppelspiel ist.«
»Auch nicht Robert van Derksen?«
Pulli sieht ihn an. »Warum fragen Sie ausgerechnet nach ihm?«
»Ich dachte nur. Ich habe gehört, Ihre Beziehung wäre nicht die beste gewesen. Und er war ein Freund von Vidar, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Robert ist ein Idiot«, sagt Pulli verächtlich. »Ihm fehlt der IQ .«
»Aber er beherrscht Ihre Ellbogentechnik.«
»Ja, die habe ich ihm vor hundert Jahren mal selber beigebracht.«
»Und trotzdem glauben Sie nicht, dass er es war?«
Pulli schüttelt den Kopf. »Robert ist so sehr von sich besessen, dass er niemals eine solche Tat begehen könnte, ohne hinterher darüber zu sprechen.«
Henning nickt. »Wie sah es mit dem Thema Neid aus? Hat Sie niemand um Ihren Status beneidet?«
»Nein, wir hatten Respekt voreinander. Ich habe schon immer daran geglaubt, dass einem mit Respekt begegnet wird, wenn man seinen Mitmenschen selbst auch Respekt entgegenbringt. Ich habe in meinem Leben eine ganze Menge Scheiße gebaut, auf die ich nicht sonderlich stolz bin, und es gab auch bestimmt den einen oder anderen, der neidisch auf mich war, aber ich bitte Sie, das hier …?« Pulli deutet auf die Wände, schüttelt resigniert den Kopf und trinkt einen Schluck Tee.
Henning wirft einen Blick in seine Notizen. »Was hat es mit diesem Schlagring auf sich?«
Pulli beginnt zu lachen. »Zum einen habe ich zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren nicht mehr als Geldeintreiber gearbeitet, zum anderen erinnere ich mich nicht einmal mehr daran, wann ich das Ding zuletzt benutzt habe. Das muss Ewigkeiten her sein. Eigentlich habe ich ihn nur ganz zu Anfang eingesetzt, als mir noch nicht bewusst war, dass mein Ellbogen mir einen gewissen Ruf verschafft hatte. Danach reichte es immer schon, die Ärmel hochzukrempeln. Warum sollte ich da ausgerechnet zu dem Treffen mit Jocke meinen Schlagring mitnehmen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Es liegt doch wohl auf der Hand, dass jemand ihn geklaut haben muss. Aber vor Gericht hat sich dafür keine Sau interessiert. Denen waren nur diese neunzehn Minuten wichtig.«
»Haben Sie den Diebstahl gemeldet?«
»Nein, ich wusste ja nicht einmal, dass mein Schlagring weg war.«
»Und bei Ihnen zu Hause ist in den Tagen oder Wochen vorher auch niemand eingebrochen?«
»Nein.«
»Hatten Sie häufig Besuch?«
»Ja, es verging eigentlich kaum ein Tag, ohne dass jemand vorbeikam.«
»Dann hätte also jeder den Schlagring nehmen können?«
»Ja.«
»Hatte irgendjemand einen Ersatzschlüssel zu Ihrer Wohnung?«
»Großmutter hat einen, für den Fall, dass wir unseren Schlüssel verlieren, aber sie wohnt in Enebakk und ist siebenundachtzig Jahre alt. Es hätte aber auch wenig genützt, wenn jemand sich den beschafft hätte. Wir haben nämlich eine Alarmanlage, und nur Veronica und ich kennen den Code.«
Einen Schlüssel fürs Haus, denkt Henning im Stillen und ist einen Moment lang mit den Gedanken woanders. Er denkt an Erling Ophus’ Frage, ob Henning am Abend des Feuers abgeschlossen hatte oder ob es Einbruchspuren gab. Wenn Pulli recht hat und wirklich jemand über den Hinterhof bei ihm eingedrungen ist, könnte das darauf hindeuten, dass der Betreffende einen Schlüssel hatte. Henning hat aber nur einen Ersatzschlüssel, und der liegt bei seiner Mutter. Und die verlässt ihr Haus nicht mehr, weil ihre Raucherlunge sie in ihrer Küche festhält, die Raucherlunge und ein Glas St. Hallvard.
Ein Piepen holt
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